Jüdischer Gottesdienst erlebte Bewahrung
Die einen sprechen von «Zufall», die anderen von einem «Wunder». Der Angriff eines wohl rechtsextremistischen Terroristen auf eine Synagoge in Halle war erfolglos. Der Deutsche wollte möglichst viele Juden während des Gottesdienstes umbringen.
Attentat an Jom Kippur
Doch dem Mann gelang es nicht, in das Gebäude einzudringen. Er schoss mehrfach vergeblich auf eine Eingangstür und setzte auch Sprengstoff ein. Dass er es nicht schaffte, die Tür zu überwinden, so der Sender N24, grenze an ein Wunder.
Und so kamen die etwa 80 Gläubigen im Versammlungsraum mit dem Schrecken davon. Sie hatten sich zum Gottesdienst zu Jom Kippur (Versöhnungsfest) versammelt. Jom Kippur ist der höchste jüdische Feiertag und heisst wörtlich «Tag der Sühne». Es geht dabei um die Vergebung Gottes für das jüdische Volkes.
«Diese Tür hat Wunder gemacht»
«Diese Tür hat Wunder gemacht, sie ist
standgehalten», erklärte der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde in Halle, Max Privorozki, gegenüber den Medien. Die Tür sei «gut, aber nicht speziell». «Gott hat uns geschützt», erklärte Privorozki
gegenüber dem Magazin «Der Spiegel».
Zwei Todesopfer aus Halle und Merseburg
Nach einigen Minuten liess der Amokläufer vom Eingang der Synagoge ab und erschoss eine 40-jährige Frau aus Halle, die zufällig an der Synagoge vorbeilief. Dann ging er weiter zu einem Döner-Imbiss, wenige Hundert Meter entfernt, und erschoss dort einen 20-jährigen Mann aus Merseburg.
Danach lieferte er sich eine Schiesserei mit der Polizei, wurde am Hals getroffen, floh und konnte entkommen. Später nahm die Polizei die Verfolgung wieder auf und konnte ihn auf einer Landstrasse stellen, wo er in seinem Auto mit einem LKW zusammenstiess und nicht mehr weiterfahren konnte.
Reaktionen deutscher Politiker
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier suchte Halle noch am gleichen Tag auf und erklärte an der Mauer der Synagoge: «Wer jetzt noch einen Funken Verständnis zeigt für Rechtsextremismus und Rassenhass, politisch motivierte Gewalt gegen Andersdenkende, Andersgläubige – wer das rechtfertigt, der macht sich mitschuldig.»
Bundeskanzlerin Angela Merkel zeigte sich «schockiert und bedrückt» und besuchte als Zeichen der Solidarität die Jüdische Gemeinde in Berlin.
«Schande für Deutschland»
Innenminister Horst Seehofer sprach von einer «Schande für Deutschland». Angesichts der Geschichte Deutschlands dürfe so etwas nicht passieren. Er machte deutlich, dass es eine hohe Gefährdungslage für jüdische Mitbürger in Deutschland gebe. Die Sicherheitsbehörden wüssten von 24'000 bekannten Rechtsextremisten, die Hälfte davon sei gewaltbereit. Wer sich von diesen potenziellen Extremisten radikalisiere und dann tatsächlich auch Gewalt plane und ausüben wolle, liesse sich nicht vorhersagen.
Ministerpräsident Rainer Haseloff forderte Gesetze, die es den Sicherheitsbehörden ermöglichten, im Netz genauso effizient gegen Extremisten vorzugehen wie in der wirklichen Welt. Haselhoff kündigte an, dass man bei der Beobachtung der radikalen, antisemitischen Szene die Hilfe der israelischen Sicherheitsbehörden suchen werde.
Anschlag live im Internet
Das Beispiel des Attentäters von Halle zeige, so Innenminister Seehofer, dass er zwar Kontakt zu Gleichgesinnten im Internet gehabt, aber keine Komplizen gehabt habe. Sein Vorbild sei das Attentat in Christchurch gewesen. Der Täter hatte seinen Amoklauf mitgefilmt und live im Internet gezeigt. Seine Waffen hatte er sich mit Hilfe eines 3D-Druckers hergestellt. Zudem hatte er sich Sprengstoff besorgt.
Echo des Attentats
in Israel
In Israel sind die Berichte über den Anschlag in Halle an erster Stelle. Dass sich das versuchte Attentat an Jom Kippur ereignete, findet hier besondere Beachtung. Politiker des Landes, an erster Stelle Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, forderten, noch konsequenter gegen Antisemitismus vorzugehen und jüdisches Leben zu schützen.
In der israelischen Bevölkerung wird die Frage laut, wie sicher Deutschland für Juden noch ist. Für Benjamin Netanjahu ist die Tat ein Beweis dafür, dass der Antisemitismus in Europa auf dem Vormarsch sei.
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Datum: 12.10.2019
Autor: Norbert Abt
Quelle: Livenet