Toleranz – und viel mehr
In der letzten Woche haben wir gesehen: Jesus war in seinen Aussagen über sich selbst und Gott sehr exklusiv, eindeutig, unmissverständlich. Gleichzeitig pflegte er einen skandalös offenen Umgang mit Menschen, die von vielen gemieden und in Frage gestellt wurden. Offenbar war es für ihn möglich, eine feste Überzeugung zu haben und gleichzeitg allen Menschen offen zu begegnen.
Toleranz im Staat
Viele Menschen nehmen es heute als gegeben an, dass es automatisch zu Intoleranz führt, wenn man an eine feste Wahrheit glaubt. Darum haben Philosophen schon vor Jahrhunderten einmal entschieden: «Es kann keine absolute Wahrheit geben». Gleichzeitig glauben wir, dass jeder Mensch Würde hat und gleichwertig ist. Das ist eine absolute Wahrheit, und darauf baut sich unsere Toleranz auf. Wenn wir also an keine absolute Wahrheit glauben, warum sollen wir dann tolerant sein?
Tatsächlich ist es so: Man kann von der Wahrheit überzeugt sein und gleichzeitig demütig und tolerant. Und man kann auf der anderen Seite an nichts glauben – alles ist gleich gültig – und sehr arrogant dabei sein.
Die Wurzel politischer Toleranz
Im 17. Jahrhundert kämpfte in Rhodes Island (USA) der Baptistenprediger Roger Williams dafür, dass Kirche und Staat zweierlei sind und dass der Staat gegenüber allen Menschen tolerant sein muss. Er schrieb: «Es ist Wille und Gebot Gottes, dass seit dem Kommen seines Sohnes Jesus die heidnischsten, jüdischsten, türkischsten oder antichristlichsten Überzeugungen allen Menschen in allen Nationen freistehen sollen. Man soll sie nur bekämpfen mit dem Wort des Geistes, dem Wort Gottes.»
Williams wurde zum Vorreiter der Trennung von Kirche und Staat und der gesellschaftlichen Toleranz in den USA. Wohlgemerkt: Er hatte seine Überzeugung und trat dafür ein, weigerte sich aber, jemand anderen mit Gewalt davon zu überzeugen. Oder wie es ein europäischer Philosoph ausdrückte: «Ich bin zwar ganz anderer Meinung als Sie – aber ich werde bis zum Tod dafür kämpfen, dass Sie sie ausdrücken dürfen.»
Toleranz gründet also in der Überzeugung, dass Gott Menschen frei geschaffen hat und sie ihre Würde haben. Toleranz setzt eine Überzeugung voraus, für die man auch eintritt. Toleranz ist nicht das, was viele heute darunter verstehen: «Ich habe eigentlich keine eigene Meinung, aber da bin ich mir auch nicht so sicher.»
Viel mehr als Toleranz
Jesus war den Menschen gegenüber sehr tolerant. Aber dieses Wort trifft den Kern seines Verhaltens eigentlich nicht. Jesus sagte nie: «Seid tolerant». Toleranz bedeutet: «Ich ertrage dich, ich halte dich aus» – aber danach sehnen wir uns eigentlich nicht. Vor dem Traualtar sagen wir einander nicht «Ich verspreche, dich zu ertragen». Eltern sagen ihren Kindern am Abend nicht «Gute Nacht, mein Schatz, ich toleriere dich so sehr». Wir sind nicht dazu geschaffen, toleriert zu werden, sondern gefeiert und geliebt zu werden. Einer der skandalösesten und rätselhaftesten Aussagen von Jesus ist nicht «Toleriere deine Feinde», sondern «Liebe deine Feinde. Tue denen Gutes, die dich hassen». Wow! Wenn Sie das nächste Mal Mühe mit einem Menschen haben, versuchen Sie einmal, ihn oder sie nicht zu tolerieren, sondern zu lieben. Das ist ganz etwas anderes.
Genau das hat Gott gemacht. «Er liebte uns, als wir noch seine Feinde waren» und bewies das dadurch, dass er seinen Sohn für uns sterben liess und sich so mit uns Feinden versöhnte (Römerbrief, Kapitel 5, Vers 10). Gott erträgt und erduldet Sie nicht nur, sondern er war schon vor Ihrer Geburt und ist bis heute aktiv und dauernd an Ihrem Wohlergehen interessiert. Toleranz ist gut. Liebe ist besser.
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Datum: 06.08.2018
Autor: Reinhold Scharnowski
Quelle: Jesus.ch