Zeit für eine digitale Reformation

Chancen und Ängste im Umgang mit dem Internet

Längst ist das Internet für die meisten Menschen normaler Bestandteil ihres täglichen Lebens. Doch Kirche und Co. tun sich teilweise noch schwer mit der Präsenz im World Wide Web. Welche Ängste hindern sie? Welche Chancen bieten sich?
Junger Mann am Laptop (Symbolbild)
Ansgar Mayer
Hannes Leitlein

«Wenn der Heilige Geist über euch gekommen ist, werdet ihr seine Kraft empfangen. Dann werdet ihr den Menschen auf der ganzen Welt von mir erzählen – in Jerusalem, in ganz Judäa, in Samarien, ja bis an die Enden der Erde», so beauftragte Jesus bei seiner Himmelfahrt in der Apostelgeschichte seine Nachfolger. Doch schon damals sahen diese zwar die Chancen einer weltweiten Bewegung, blieben aber zunächst lieber in ihrer vertrauten Umgebung. Diese Tendenz scheint bis heute anzuhalten. Warum eigentlich?

Es gibt nachvollziehbare Ängste

Das Römische Reich damals war unüberschaubar gross. Und das Internet wirkt für viele Christen heute ähnlich: fremd, feindlich, ein fast rechtsfreier Raum, der von unchristlichen Angeboten dominiert wird. Wie soll so etwas Verbindliches wie Gemeinschaft im virtuellen Raum stattfinden? Wie soll Gottes Reich hier Gestalt gewinnen? Wie könnten konkrete Angebote einer Kirche und Gemeinde – von Seelsorge über Abendmahl und Lobpreis bis hin zum Frauenkreis – ohne das konkrete Versammeln in einem Raum funktionieren? Soll die Gemeinde etwa abgeschafft werden? Diese und ähnliche Fragen bewegen viele Christinnen und Christen. Und es geht dabei nicht nur um die Angst vor etwas Neuem oder das Verteidigen von lieb gewordenen Traditionen.

Kein Entweder – Oder

Zunächst einmal muss man wohl festhalten, dass es bei der Frage für die Wenigsten um ein Entweder – Oder geht. Auch Gemeinden, die kaum im Netz unterwegs sind, stellen inzwischen ihre Predigten online. Gleichzeitig wünschen sich Christen mit einer starken Affinität zu den sozialen Medien «reale» Angebote, Menschen, die sie in den Arm nehmen und mit ihnen beten. Die Frage ist eher: Wie kann Kirche und Gemeinde aussehen, die sich in beiden Welten bewegt? Die überall ihre Angebote hat? Deren Gottesdienste vor Ort so interessant sind wie ihre Online-Präsenz?

«Kirche muss auch bei Google stattfinden»

Ansgar Mayer prägte diesen Satz in einem Interview mit dem Deutschlandfunk. Der katholische Theologe arbeitete früher bei «Computer-Bild» und ist nun Direktor für Medien und Kommunikation des Erzbistums Köln. Seine Aufgabe sieht er darin, dass sich Kirche für gesellschaftliche Diskussionen öffnet und dabei trotzdem mit klaren Positionen Stellung bezieht. Kirche muss für ihn da stattfinden, wo Menschen darüber diskutieren. «Ich glaub, dass wir […] einen Bedarf haben an Sinnhaftigkeit, wie wahrscheinlich noch selten zuvor», erklärte der Medienfachmann.

Genau deshalb will er zum Beispiel christliche Werte im Internet anbieten, und zwar so, dass sie von Fragenden auch gefunden werden. Bereits im vergangenen Jahr veranstaltete Mayer aus dem Grund einen kirchlichen «Hackathon» (einen Entwicklermarathon, in dem gemeinsam nützliche und kreative Softwareprodukte hergestellt werden) unter dem Motto «Back to Faith». Sein Anliegen fasste er so zusammen: «Wenn es uns gelingt, auf dem Hackathon ein paar neue Türen zu zimmern, durch die Menschen zu uns kommen können, und ein paar neue Fenster, durch die wir selbst mutiger blicken müssen, dann haben wir schon viel erreicht.»

Reformation im Netz

Auf evangelischer Seite forderte der Journalist Hannes Leitlein in «Christ & Welt», dass Protestanten die Reformation nicht nur im Rückblich feiern, sondern sich den heutigen Herausforderungen stellen sollten: «Eine Kirche, die sich der Digitalisierung verweigert, ist gestrig, alt und unbeweglich. Sie hat Luther nicht verdient, auf dessen radikale Botschaft sie sich beruft.» Leitlein kritisierte das, was die EKD in den letzten Jahren umgesetzt habe, um digitale Kommunikationsplattformen besser zu nutzen – «nichts!» – und unterstrich die Chancen, die soziale Netze bieten: nicht nur das Vermitteln von Inhalten, sondern das Eintreten in einen Dialog mit Menschen in und ausserhalb der Kirche. Für ihn ist es «höchste Zeit, die digitale Gegenwart theologisch zu deuten, in ihr das Evangelium zu erkunden, zu teilen, zu leben. Wer die Digitalisierung versteht und sie sich zu Nutze macht, wird nicht nur in den kommenden Jahren am Ball bleiben. Es geht um die nächste Epoche».

Die ganze Welt

Natürlich lassen diese provokanten Forderungen viele Fragen offen. Natürlich erzeugen sie Unsicherheit – wie jeder Dialog mit den Menschen, die uns umgeben. Und natürlich haben Christen zwar eine wunderbare «gute Nachricht», aber keine Erfolgsgarantie für jeden Versuch, sie zu kommunizieren. Aber es gibt keine Alternative, denn das Internet ist kein Raum mehr, den «man betreten kann, aber nicht muss» (Leitlein). Heute hätte Jesus seinen Nachfolgern sicher gesagt: «Wenn der Heilige Geist über euch gekommen ist, werdet ihr seine Kraft empfangen. Dann werdet ihr den Menschen auf der ganzen Welt von mir erzählen – über den Gartenzaun, in euren Gemeinden und im World Wide Web…»

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Datum: 09.06.2017
Autor: Hauke Burgarth
Quelle: Livenet

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