80 Prozent der Gottesdienst-Besucher in Syrien sind Muslime
Livenet: Ernst Haab, wie hilft OM den Flüchtlingen in Griechenland?
Ernst Haab: OM Schweiz ist durch eine mehrjährige Beziehung mit OM Griechenland verbunden und unterstützt Flüchtlingsprojekte schon seit Jahren, also bereits lange vor der gegenwärtigen Flüchtlingskrise. Damals wurde die Essensausgabe an Flüchtlinge und sogar eine Küche finanziert, um dort das Essen zu kochen.
Wie ist OM zu diesem Engagement gekommen?
OM Schweiz ist für OM Hellas – wie OM Griechenland offiziell heisst – eine Art Mutter. Durch verschiedene Coachingaufgaben hilft die Schweiz OM Hellas, sich eigenständig zu entwickeln. Darum war es logisch, unsere Nothilfe auf Griechenland zu konzentrieren.
Was kann bei diesem riesigen Ansturm überhaupt ausgerichtet werden?
Es war seit dem Beginn der gegenwärtigen Krise OMs Ziel, den Flüchtlingen das Leben ein bisschen leichter zu machen. Auf der Insel Lesbos, wo die meisten Flüchtlinge ankamen, bedeutete das, die Flüchtlinge zu empfangen, sie mit Decken und Lebensmitteln, Kleidern und Hygieneartikeln zu versorgen, und dann so schnell wie möglich ins Registrierungszentrum zu bringen. Das Aufräumen von Abfall gehört ebenso zu den täglichen Pflichten, wie das Organisieren und Bereitstellen von Hilfsgütern.
Was ist weiterhin in Griechenland geplant?
OM Schweiz plant, in Griechenland zu helfen, solange die Krise anhält und solange Schweizer bereit sind, ihre Spenden in Nothilfe zu investieren und ihre Zeit in Kurzeinsätzen einzusetzen und die anfallenden Aufgaben in Griechenland zu übernehmen.
Wirkt OM auch in anderen Ländern für Flüchtlinge?
OM arbeitet seit dem Anfang der Syrienkrise im Nahen Osten. Drei Schweizer Ehepaare und mehrere andere Mitarbeitende arbeiten eng mit lokalen Kirchgemeinden zusammen, um Nothilfe zu leisten. Es sind die lokalen Kirchgemeinden, die Nothilfe tragen. Ohne sie könnten wir nichts ausrichten. Die Kirchen erfassen Listen mit Namen und anderen Details für bedürftige Flüchtlinge. Sie unterbreiten Budgets, die von uns finanziert werden. Dann kaufen sie Hilfsgüter, wenn möglich immer lokal, und verteilen sie unter den registrierten Flüchtlingen. Das geschieht unterschiedlich, einmal in Camps, ein andermal in einem Kirchengebäude, auf dem Platz vor Bauruinen oder durch persönliche Besuche. Jede Abgabe wird peinlich genau registriert und dem Geldgeber darüber berichtet.
Können Sie ein, zwei Beispiele erzählen, wie Menschen durch diese Arbeit Hoffnung gefunden haben?
Wir hören zum Beispiel: «Ihr von der Kirche seid die einzigen, die uns helfen, seit die Vereinten Nationen die Lebensmittelausgabe im August eingestellt haben.» Oder: «Ohne euch müssten wir alle nach Europa fliehen.»
Die Kirchen in Syrien hatten sich geleert, als der Krieg begann. Christen flohen, denn ihr Leben war mehr gefährdet, als das von Muslimen. Heute sind die Gotteshäuser wieder voll: 80 Prozent der Anwesenden sind Muslime, die von Jesus hören möchten.
Welche Geschichten bewegen Sie persönlich?
Ein Kurzzeitler, etwa 65-jährig, erzählte von seinem Einsatz auf der Insel Lesbos: «Ich war zum Schuhe-Verteilen eingeteilt. Drei Pakistaner standen vor mir mit blutigen Füssen. Sie waren den ganzen Weg zu Fuss geflohen. Ihre Schuhe waren längst auseinandergefallen. Aber es gab keine Schuhe, die gross genug für sie waren. Ich musste sie mit Gottes Segen, aber ohne Schuhe weiterschicken.»
Soweit das Interview mit Ernst Haab. Im Folgenden berichtet Hein van der Merwe, Leiter des OM-Teams auf Lesbos, was er vor Ort erlebte:
Unter den letzten Bootspassagieren, denen wir an diesem Abend auf der Insel Lesbos an Land halfen, bemerkte ich einen etwa 40-jährigen Mann, der sehr krank aussah. Ich wollte ihn ins Spital bringen, doch er wollte seine Familie nicht verlassen.
Es waren 16 Leute, von einem zwei Wochen alten Säugling bis zu einem 80-Jährigen. Wir hatten nichts als ein paar Tücher für sie und es begann bereits, kalt zu werden. Was sollten wir tun? Schweren Herzens liessen wir sie zurück.
Später lud ich Schlafsäcke in mein Auto und fuhr zurück. Ich konnte die Familie jedoch nicht mehr finden. In dieser Nacht war ich wütend auf Gott und frustriert über den Mangel an Hilfsgütern. Am Morgen erzählte mir das Team bei der Andacht: «Wir trafen diese Familie im Dorf. Ein älterer Dorfbewohner hat ihnen gestern Abend Schlafplätze in seinem Haus gegeben.» Erleichtert dankte ich Gott – und realisierte, dass Gott nicht nur mich gebraucht, um den Flüchtlingen zu helfen. Er wollte, dass auch jener ältere Dorfbewohner ein Segen sein konnte!
Zeitweise landeten bis zu 7'000 Flüchtlinge pro Tag mit Schlauchbooten auf der griechischen Insel Lesbos. Das sind enorme Zahlen, doch wir dürfen eines nicht vergessen: Es sind Menschen. Menschen, die nie ihre Heimat verlassen hätten, wären sie nicht durch den Krieg dazu gezwungen worden. Alle, die ich bisher gefragt habe, ob sie eines Tages wieder nach Syrien zurückkehren möchten, antworteten: 'Ja, wir wollen wieder zurück nach Hause.'
Mir scheint, dass viele Leute denken, Flüchtlinge seien faul. Ich kann dies nicht bestätigen. Zum Beispiel kamen an einem Morgen sechs Buben, denen ich am Vortag an Land geholfen hatte, zu mir und halfen spontan beim Aufstellen von Zelten. Einige junge Männer bemerkten das im Schlamm stecken gebliebene Auto einer Journalistin. Spontan halfen sie ihr, das Auto aus dem Dreck zu stossen. Andere Male fragten mich Flüchtlinge nach Abfallsäcken, damit sie beim Säubern des Platzes helfen könnten.
Als wir an einem Abend am Ufer standen, um ankommenden Flüchtlingen aus den Booten zu helfen, hob ein Mann die Hände in die Höhe und schrie: «Jesus!» Auf meine Frage, ob er Christ sei, antwortete er: «Ja, ja.» Seine Frau sprach besser Englisch als er und erzählte mir, dass ihr Mann Pastor sei. Wir tauschten Kontaktinformationen aus und einige Tage später erhielt ich eine Nachricht aus Serbien. Das iranische Ehepaar war schnell vorwärts gekommen und der Pastor hatte an diesem Morgen einen anderen Flüchtling im Gebet zu Jesus führen dürfen.
Am Teamtreffen tauschten wir unsere Erlebnisse an der Grenze aus. Während des Gebets weinten die meisten. Es ist eine schwierige Aufgabe, doch wir sind alle dankbar, etwas für diese notleidenden Menschen tun zu können. Die Situation an der Grenze hat sich verbessert. Die serbische Polizei ist jetzt da und hilft. Einer unserer Volontäre erklärte einem serbischen Polizisten die Gute Nachricht. Alle scheinen offen zu sein. Die Hotelangestellte, die uns jeden Tag beten sieht, ist erstaunt über den Frieden, den wir haben. Ein neu angekommener Arzt aus der Slowakei fragte mich, was wir verteilen. Das Erste, das mir in den Sinn kam, war Liebe. Ich sagte es ihm. Er schaute mich an und lächelte.
Um zu verhindern, dass noch mehr Flüchtlinge nach Europa kommen und ihr Leben riskieren, ist die Nothilfe vor Ort mehr denn je gefragt, besonders jetzt, wo die UN nicht mehr hilft. Spenden Sie hier und ermöglichen Sie Hilfe durch Gemeinden vor Ort.
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Datum: 11.04.2016
Autor: Daniel Gerber
Quelle: Livenet