Ein Miracle Café im walisischen Bangor
Die Sonne bricht durch an diesem Mittwochnachmittag in Bangor, einer kleinen Küsten- und Universitätsstadt im Nordwesten von Wales. Die Fussgängerzone ist kaum belebt. Eine Gruppe Studierender zieht quatschend durch die Strasse. Links bietet ein Laden süsse Kindermode an, gleich gegenüber liegt das Miracle Café: moderne graue Wände, schwere Holztheke, schwarze Lampen und Tafeln, teure Kaffeemaschine. Das Interieur ähnelt dem unzähliger Cafés in anderen Studentenstädten. Der Salted Caramel Cake schmeckt hier noch etwas besser. Doch für den Kuchen sind wir als Familie heute ausnahmsweise nicht gekommen.
Die Wunderkarte
Wir sind neugierig. Uns interessiert besonders die andere Speisekarte. Die nicht als Tafel über dem Tassenregal hängt, sondern als Aufsteller unaufdringlich, aber präsent auf den Tischen steht. Im «Miracle Menu» heisst es: «Wir wollen dir einen Vorgeschmack vom Himmel anbieten, nicht nur mit unserem leckeren Essen, sondern auch spirituell. Völlig kostenlos!» Von der Wunderkarte kann man wählen zwischen Optionen wie Heilungsgebet, Traumdeutung, prophetischer Ermutigung, allgemeinem Segen... Die Karte dient als Gesprächseinstieg, viele fragen nach, oft ergibt sich beim Kassieren ein Gespräch. Und natürlich ist sie auch das Angebot, persönlich eine spürbare Erfahrung mit Jesus zu machen.
Unten auf dem Miracle Menu ist zu lesen: «Bitte beachte, dass wir kein Ergebnis garantieren können.» Dazu der Hinweis mit Blick auf Heilungen: «Wir empfehlen nicht, dass du ohne ärztliche Empfehlung Medikamente absetzt.»
Von der Barista hinterm Tresen erfahren wir, dass gerade erst jemand da gewesen ist, der am Abend vorher mit seinen Freunden das Café besucht hat. Wohl mehr aus Jux orderte er ein Heilungsgebet und die Mitarbeitenden beteten für seine schmerzende Schulter: «Heute kam er zurück und fragte: ‚Was habt ihr gemacht?! Die Schmerzen sind weg!»
Wer interessiert ist oder weitere Fragen hat, kann eine Follow-Up-Karte mitnehmen, um in Kontakt zu bleiben oder kostenlose Videos anzuschauen, die mehr über den christlichen Glauben erklären. Darüber hinaus gibt es eine Mentoring-Gruppe, der man sich anschliessen kann.
Widrige Anfänge
Die Idee für dieses Café hatte die Engländerin Aliss Cresswell, wobei sie vermutlich sagen würde, die Idee habe der Heilige Geist gehabt. Ihr erstes Café eröffnete sie mit ihrem Mann Rob in Chester, im Norden Englands. Die 365 Wunder, die im ersten Jahr geschahen, hielt sie in ihrem Tagebuch fest und veröffentlichte sie später.
Vor zweieinhalb Jahren starteten Aliss und Rob dann das Café in Bangor. Ohne Geld und ohne Konto, weil die Bank in der Pandemiezeit keines eröffnen konnte. Da Robs Vater gerade verstorben war und Rob in der Zeit seine Familie unterstützte, renovierte Aliss die Räume allein. Schlief auf einer Matratze in Räumen ohne Heizung, ohne Warmwasser, ohne Licht – im walisischen Winter. «Und die Gestalten draussen an der Hintertür waren auch ziemlich furchteinflössend», erzählte sie einmal. «Ich erinnere mich noch, wie ich in dem dunklen, kalten Raum lag und zu Gott sagte: ‚Das würde ich für niemand anderen als dich tun. Und ich mache das, weil die Menschen dieser Stadt dir so am Herzen liegen und du möchtest, dass dein Reich hier wächst.‘»
Zwei Tage vor Eröffnung war noch kein Koch gefunden, also sprang ihre Freundin Ruth ein und deren Mann Terry kam gleich als Spülhilfe mit. Aus der geplanten sanften Eröffnung wurde nichts: Das Café brummte schon am ersten Tag. Gespannt waren sie, wie das «Miracle Menu» ankommen würde – aber gleich der erste Gast bestellte nicht nur Essen und Trinken, sondern auch eine «persönliche Prophetie». «Er war so ermutigt von dem, was ihm zugesprochen wurde, dass er ein Gebet sprach und sich Jesus anvertraute», erinnert sich Aliss Cresswell. Die nächste Kundin erzählte, sie sei eine Hexe, bat um Heilung – und postete später auf Social Media eine Einladung, das Miracle Café zu besuchen...
Ebenfalls gleich am ersten Tag trank der Chefkoch eines teuren Restaurants hier mit einem Freund seinen Kaffee. Sowohl Ambiente und Herzlichkeit als auch ein Heilungserlebnis beeindruckten ihn so, dass er ein paar Tage später kündigte und im Miracle Café anfing. Seither wurden in diesem gemütlichen Café Tausende Kuchen serviert und immer wieder sind kleine und grössere Wunder geschehen.
In jedem Land
In diesem Mai haben Aliss und Rob das gemeinnützig geführte Café in neue Hände übergeben, um sich der Eröffnung weiterer Miracle Cafés zu widmen: Ihr Traum ist eins in jedem Land der Erde. In Kanada und Aserbaidschan gibt es sie schon, weitere sind in den USA und England geplant – und inspiriert hat Aliss Cresswell mit ihrer Idee schon jetzt viele andere Cafés weltweit.
Wir machen zum Abschied nicht nur ein Selfie vor den lebensgrossen Engelsflügeln neben der Eingangstür, sondern lassen auch gern die Barista für uns beten. Schlicht und unaufgeregt legt sie uns eine Hand auf die Schulter, betet mit leiser Stimme, erzählt von einem geistlichen Bild, das ihr innerlich im Gebet vor Augen stand. Vielleicht ist es kein Wunder, das wir erleben, aber berührt bin ich sehr – vom Gebet, von der Idee und von all den Geschichten, die hier schon geschehen sind.
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Datum: 15.11.2024
Autor:
Anja Schäfer
Quelle:
Magazin andersLeben 03/2024, SCM Bundes-Verlag