Von Frausein, unfertigen Männern und Greisen
Sucht man Gott in der Bildersuche von Google, dann kommt sofort ein bekanntes Bild: alter weisser Mann in Machtposition (auf einem Thron). Das überrascht eigentlich nicht, wenn wir uns mal anschauen, wie wir im Gottesdienst oder im Lobpreis über Gott reden: immer in der männlichen Form (er), oft als Herr, Vater, König, Herrscher, Höchster, Mächtigster, etc. Das passt schon gut zum Klischee des alten weissen Mannes.
Aber stimmt dieses Bild von Gott? Jesus hat gesagt, dass man in ihm Gott sehen kann (vgl. Johannes, Kapitel 12, Vers 45). Jesus wurde nicht alt und er war nicht weiss. Aber er war doch ein Mann, oder? Ist Gott dann nicht doch auch ein bisschen mehr männlich als weiblich?
Weder männlich noch weiblich
Ganz zu Beginn steht in der Bibel, dass Gott den Menschen zu seinem Ebenbild erschuf, und zwar männlich und weiblich. (Auch wenn sich die meisten Bibelübersetzungen dafür entscheiden, mit «als Mann und als Frau» zu übersetzen, steht im Hebräischen in 1. Mose, Kapitel 1, Vers 27 wörtlich «männlich und weiblich schuf er sie»). Der Gottesname JHWH, der in unseren Bibeln meist mit «der HERR» widergegeben wird, ist ebenfalls weder männlich noch weiblich. Gott selbst sagt von sich, dass er kein Mann ist. (In Hosea, Kapitel 11, Vers 9 steht wörtlich: «Ich bin Gott und kein Mann». Das Wort für Mann (isch) kann auch mit «Mensch» übersetzt werden, was die meisten Bibelübersetzungen auch machen.)
Doch Jesus war eindeutig ein Mann, sonst hätte er kaum beschnitten werden können. Warum aber hat sich Gott entschieden, als Mann zur Welt zu kommen, wenn er genauso wenig männlich wie weiblich ist?
Die Frage beantwortet Gott uns in der Bibel nicht. Doch wenn wir einen Blick in die Antike werfen, können wir vielleicht nachvollziehen, warum es strategisch eine gute Idee gewesen sein könnte.
Für Haushalt und Kinder zuständig
Aristoteles zum Beispiel, bis heute einer der einflussreichsten Philosophen überhaupt, behauptete, dass Frauen weniger rational und willensstark seien als Männer, daher den Männern unterlegen und untergeordnet wären und auch keine Bürgerrechte haben dürften. Seine Ansichten erregten damals keinen Anstoss.
Im Prinzip stellte man sich Frauen in der Antike als unfertige Männer vor, die nicht weitergewachsen und gereift seien und keine Vernunft ausgebildet hätten wie ihre männlichen Artgenossen. Sie galten als eine Art geschlechtsreife Kinder, die weiterhin einen Vormund brauchten (Vater oder Ehemann), der ihnen bei finanziellen und rechtlichen Dingen mit seiner Ratio vorstand. Nur wenige Frauen schafften es, oft mithilfe von Vermögen und guten Beziehungen, ein wenig Einfluss in der Gesellschaft geltend zu machen. Von Politik waren Frauen ansonsten weitestgehend ausgeschlossen. Ihre Aufgabe war es, als Mutter für Nachkommenschaft zu sorgen. Und zwar möglichst männliche Nachkommenschaft.
Auch im Judentum gab es klare Regeln für Männer und Frauen. Frauen, meist ihren Männern und Vätern untergeordnet, waren vorrangig für Haushalt und die Kinder zuständig. Kultische Regeln liessen sie im Tempel nur in den Vorhof, Männer durften näher an die heilige Stätte.
Das ist also das Klima, in dem Gott als kleiner Junge von einer vermutlich minderjährigen Mutter zur Welt gebracht wird. Auch so war seine Situation schon prekär genug (nur durch himmlische Intervention entgeht er der Tötung durch Herodes). Vielleicht wäre das Evangelium von Gottes Liebe in der damaligen Gesellschaft nicht gehört worden, wäre Jesus eine Frau gewesen.
Den Frauen zugewandt
Nichtsdestotrotz hat Jesus nicht die typisch männlichen Klischees bedient. Jesus hat offensichtlich viel mit Frauen interagiert, mit ihnen geredet und ihnen zugehört, klassische Sphären von Männern verlassen und Frauen eingeladen, sie zu betreten. Das merkt man z. B. an seinen Reden: Jesus spricht von der Frau, die verzweifelt eine Münze sucht und wiederfindet (Lukas, Kapitel 15, Verse 8-10), er kennt sich mit der Wirkung von Sauerteig aus (Matthäus, Kapitel 13, Vers 33), mit Nähen und Flicken von Stoffen (Matthäus, Kapitel 9, Vers 16) und als er über die Endzeit redet, hat er die schwangeren und stillenden Frauen im Blick, deren Beschwerden ihm offenbar bekannt sind (Lukas Kapitel 21, Vers 23). Grosses Leid vergleicht Jesus mit Wehen (Markus, Kapitel 13, Vers 8).
Er heilt spezifische Frauenkrankheiten und nimmt die Frau in ihrem Leiden ernst – was leider viele Frauen bis heute nicht erleben (Markus, Kapitel 5, Verse 25-34). Eine Frau, die sich nicht mehr aufrichten kann, heilt er und nennt sie Tochter Abrahams (Lukas, Kapitel 13, Verse 10-17). Dieser Ausdruck ist in dieser Form neu: Es ist sonst die Rede von den Söhnen Abrahams. Als Tochter stellt Jesus sie den Männern in Bezug auf die Religion gleich. Und während neugeborene Mädchen in der damaligen Zeit oft getötet werden, erweckt er ein Mädchen wieder zum Leben (Markus, Kapitel 5, Vers 41).
Bei einer reinen Männerrunde lässt er sich von einer Frau die Füsse mit Tränen benetzen und mit ihren Haaren abtrocknen und nimmt sie anschliessend vor den Kommentaren der anderen Männer in Schutz (Lukas, Kapitel 7, Verse 36-40).
Raus aus der Rolle
Jesus definiert Frauen nicht mehr über ihre zugeschriebenen Rollen als Hausfrau und Mutter. Er ermutigt sie sogar, sich selbst nicht mehr darüber zu definieren. Das Lukasevangelium berichtet, wie eine Frau ihm zuruft: «Selig die Frau, deren Leib dich getragen und deren Brust dich genährt hat». Also, Maria darf stolz sein, Mutter eines solchen Sohnes geworden sein. Doch Jesus widerspricht ihr: «Selig sind vielmehr die, die das Wort Gottes hören und es befolgen!» (Lukas, Kapitel 11, Verse 27-28). Frauen können als Nachfolgerinnen von Jesus ihre alten Rollen verlassen – mit Gottes Segen.
Eine Maria lässt er, wie sonst nur männliche Jünger bei einem Rabbi, zu seinen Füssen sitzen und lernen (Lukas, Kapitel 10, Verse 38-42). Überhaupt sind unter seinen Jüngern auch viele Jüngerinnen: Johanna hat ihre Familie hinter sich gelassen, zieht mit ihm durchs Land und unterstützt Jesus und die Nachfolgenden mit ihrem Geld, wie auch Susanna (Lukas, Kapitel 8, Verse 1-4). Maria Magdalena, die von Jesus von sieben Dämonen befreit wurde, gehört auch zum engeren Kreis. Diese Frauen sind es, die bis zum Schluss beim Kreuz ausharren (Johannes, Kapitel 19, Vers 25). Und Frauen sind es wiederum, die die ersten Zeuginnen der Auferstehung werden (Matthäus, Kapitel 28, Verse 1-10).
Respekt und Zuneigung
Ich finde in Jesus nichts von einem graubärtigen Mann, der anderen erklärt, wie die Welt funktioniert und sich in seiner Machtposition goutieren lässt. Jesus verkörpert das Gegenteil. Er gibt Frauen Einfluss und fördert sie, er behandelt sie mit Respekt und Zuneigung, er nimmt sie, ihre Lebenswelt, ihren Glauben, ihr Denken und ihr Handeln ernst. Er hat keine Berührungsängste mit Weiblichkeit. Unsere Kirchen und Gemeinden profitieren davon, wenn sie Jesus hier ganz nachfolgen, wenn sie zuhören, die Lebenswelt von Frauen und allen anderen, die zum Ebenbild Gottes geschaffen sind, wahrnehmen und dafür Raum schaffen.
Vielleicht wird ja irgendwann auch Google Gott nicht mehr hauptsächlich als alten, weissen Mann zeigen…
Zum Thema:
Den Glauben entdecken
Herausgefordert: Was macht einen Mann zum Mann?
Faktencheck Christentum: Ist Gott «er», «sie» oder «es»?
Livenet-Talk: Frausein zwischen Patriachat und Feminismus