Was war eigentlich die Frage?
Unsere Kultur hat sich in ein paar Jahrzehnten dramatisch verändert. Unter anderem hat sie sich von einer Schuld- zu einer Schamkultur entwickelt. Statt an den 10 Geboten oder anderen Vorschriften orientieren sich immer mehr Menschen an der Moral der Gruppe, wie man unschwer an jedem Zebrastreifen beobachten kann, so Andreas «Boppi» Boppart, einer der Hauptredner am 20. Jubiläum des Magazins ideaSpektrum in Bern.
Von «Ich mache einen Fehler» zu «Ich bin ein Fehler»
Das Hauptproblem unter immer mehr Menschen in Europa ist nicht, ob sie Fehler machen, sondern ob sie von der Gruppe akzeptiert sind. Die Schamkultur (die in den meisten Ländern Asiens, Afrikas und Südamerikas vorherrschend ist) ist eine Kollektiv-Kultur: Wir orientieren uns nicht «senkrecht nach oben», sondern nach allen Seiten. Richtig ist, was die meisten machen. Social Media geben Likes – oder das Gegenteil. Wer nicht genug Likes bekommt, beginnt an sich zu zweifeln. Kritische Worte oder auch nur Blicke werden schnell als Diskriminierung empfunden, also als Abwertung meiner Person, was bis in unsere Gesetzgebung hinein Konsequenzen hat.
Die dreifache Katastrophe im Paradies
Schon im Paradies zeigt sich: Wenn Gottes Wille übertreten wird, hat das drei Konsequenzen – Mann und Frau fühlen sich schuldig, sie schämen sich, und sie bekommen Angst (und verstecken sich vor Gott). Demnach teilen Soziologen die Kulturen der Welt in Schuld-, Scham- und Angstkulturen ein, die alle sehr verschieden funktionieren. Europa war unter dem Einfluss der christlichen Kirchen jahrhundertelang von einer Schuldkultur geprägt: Man wusste, dass man als Einzelner vor Gott steht und gesündigt hat und sucht nach Vergebung. Die Frage "wie bekomme ich einen gnädigen Gott" löste u.a. die Reformation aus. In anderen Kulturen ist das Problem nicht so sehr, dass man schuldig wird, sondern dass man aus der Gemeinschaft ausgeschlossen wird. Nicht der Schuldige ist darum der Schuldige, sondern der, der es aufdeckt.
Diese Schamkultur ist in den letzten Jahrzehnten immer mehr auch zur Leitkultur unseres Landes geworden, so Andreas Boppart. Und eine Folge davon ist, dass immer mehr Menschen nicht sagen «Ich mache Fehler», sondern «Ich bin ein Fehler». Ihre Identität wackelt.
Jesus: viel mehr als Vergebung
Wenn Christen nun das Kreuz nur als Weg zur Vergebung der Schuld anbieten, verengen sie das Evangelium. Denn Jesus ist nicht nur für unsere Schuld, sondern auch für unsere Scham und Schande gestorben (übrigens auch für unsere Angst). Am Kreuz hing der «Allerverachtetste und Unwerteste», wie es Jesaja schon 800 Jahre vorher beschreibt. Wer unter Unwert und Ausgestossensein leidet, findet in Jesus einen Gott, der sich mit ihm identifiziert – und ihn aus der Verachtung heraus in seine Gemeinschaft einlädt. «Wir sind immer noch beim Moralkodex. Aber die junge Generation braucht Jesus nicht primär als Vergeber, sondern als Versöhner mit dem Vater», erklärte Boppart. «Gott hat mit uns einen Bund geschlossen. Wir haben einen Jesus, der unglaublich kraftvoll für die Schamdynamik ist.»
Mutig und fröhlich rausgehen
Will heissen: Christen können «mutig und fröhlich als Abenteurer Christi rausgehen, unbekanntes Land entdecken und erleben, dass Dynamik und Kraft von Christus auch für unsere Zeit voll da ist», wie Boppart am Schluss ermutigte. Denn der Tod von Jesus bringt Erlösung in alle Dimensionen hinein, wo wir Menschen leiden – das Kreuz ist Gottes Antwort auf unsere Schuld, unsere Scham und unsere Angst.
Zum Thema:
Den kennenlernen, der uns am Kreuz erlöst hat
Willkommen in der Wirklichkeit: Mission endlich neu denken
Neues Buch von «Boppi»: «Glaubst du nur oder folgst du schon nach?»
10'000 Jugendliche in Salzburg: Campus für Christus Schweiz bereicherte die Loretto Pfingsttage
Datum: 28.11.2019
Autor: Reinhold Scharnowski
Quelle: Jesus.ch / Andreas Boppart