Zwei Autoren im Talk

Auf dem Weg in eine nachchristliche Zeit

Professor Stefan Schweyer und Philipp Bartholomä
Im Livenet-Talk sprechen die Autoren von «Gemeinde mit Mission» über die religiöse Lage im deutschsprachigen Raum, das Aufgeben biblischer Inhalte und weitere relevante Themen.

Vor wenigen Monaten erschien das Buch «Gemeinde mit Mission» von Stefan Schweyer und Philipp Bartholomä. Im Livenet-Talk spricht Reinhold Scharnowski mit den zwei Autoren, welche beide Professoren an theologischen Hochschulen sind.

Die «religiöse Grosswetterlage» hat geändert

Philipp Bartholomä erwähnt Zahlen von durchschnittlich 0,7 Bekehrungen pro Jahr und evangelischer Gemeinde in Deutschland. Wenn man bedenke, dass es in vielen Gemeinden deutlich mehr Bekehrungen gibt, ist klar, dass sich vielerorts diesbezüglich gar nichts tut. Stefan Schweyer ergänzt, dass sich die «religiöse Grosswetterlage» in den vergangenen Jahrzehnten verändert habe. Unsere Zeit sei entsprechend «nachchristentümlich».

«Ich bin jetzt 50 Jahre alt und wurde in eine Gemeindegründungsfamilie hineingeboren», berichtet Stefan. «In meinen frühen Erfahrungen konnte man an relativ viel Vorwissen anknüpfen.» Das war ein vorbereiteter Boden fürs Evangelium. «Menschen hatten schon eine Ahnung, dass es Gott gibt, religiöses Vokabular war nicht total fremd.» Das sei heute anders. Ein schnell wachsender Bevölkerungsanteil hat keinen Bezug mehr zu einer religiösen Gemeinschaft.

Motivierende Beispiele in der heutigen Zeit

«Welche Brücken helfen Menschen, die vom Evangelium gar keine Ahnung haben, um zu diesem Evangelium einen Weg zu finden?», fragt Stefan Schweyer. Im Talk wird die Frage aufgeworfen, welche Kirchen in den vergangenen Jahren gute Wege beschritten haben. Als Beispiel wird eine Gemeinde erwähnt, die während der Coronazeit kleine Gemeinschaften ins Leben rief, welche Nachbarn und Freunde einluden. Als mini-Communities waren sie evangelistisch unterwegs. Auch eine Gemeindegründung in Ostdeutschland wird erwähnt, welche in den letzten Jahren grossen Wachstum erlebte.

Theologisches Profil

Die beiden Autoren vertreten im Buch «Gemeinde mit Mission» die These, dass beim Evangelium nichts weggenommen werden darf, um missionarisch zu sein. Immer wieder werde versucht, gewisse anstössige Inhalte wegzulassen, um in der Gesellschaft etwas zu bewirken. Bartholomä und Schweyer glauben aber, dass dies den gegenteiligen Effekt hat. Bartholomä erklärt: «Es gibt keine Beispiele, wie diese theologische Liberalisierung zu nachhaltigen, geistlichen Aufbrüchen oder sogar Erweckungen geführt hat.»

Mit ihrem Buch wollen sie ermutigen, bei Gottes Wort keine Abstriche zu machen. Auch das Anstössige des Evangeliums gehöre dazu. Die Autoren sprechen von einer geheimen Kraft, welche darin liegt, dass das Evangelium nicht menschlichen, sondern göttlichen Ursprungs ist. «Es beginnt mit mir selbst», sagt Stefan Schweyer. «Was tue ich, wenn ich die Bibel aufschlage und Dinge lese, die ich mit meinem Verstand und meiner Erfahrung nicht fassen kann?» Dann würde die Frage lauten, ob er nun Gottes Wort oder sich selbst mehr vertraue.

Ein heisser Ofen und offene Türen

Soziologen erwähnen Machtverzicht und Überwindung sozialer Barrieren als wesentliche Unterschiede der frühen Kirche zum Rest der damaligen Gesellschaft. Die Kirche sei von Anfang an eine Kontrastgesellschaft. Sie optimiert nicht die alte Schöpfung, sondern verkörpert die neue. Sie ist zwar im Alten verhaftet, gleichzeitig aber auf die Zukunft ausgerichtet und in ihr würde heute schon das Licht der Ewigkeit leuchten.

«In einer alten Welt braucht es Häuser mit einem heissen Ofen und offenen Türen», bringt Stefan Schweyer einen Vergleich an. «Je offener die Türen sind, desto heisser muss der Ofen sein.» Was energietechnisch ein Unsinn wäre, ist ein gutes Bild für Kirchen. Sie brauchen innere Klarheit (Feuer), um sich erfolgreich für die Gesellschaft zu öffnen.

Anbetung, Hirten und ein ergänzendes Team

Im Talk wird auf Anbetung und die Worship Kultur eingegangen und auch darauf, dass manche Leiter typische Hirten und Lehrer, nicht aber Missionare sind. Eine Untersuchung von Schweyer habe ergeben, dass sich das evangelistische Feuer multipliziert, wenn der Pastor eine evangelistische Begabung hat. Wenn er dies nicht hat, sollte er ein Team haben, welches ihn darin unterstützt. «Ich wünsche mir starke Hirten und Lehrer, die aber trotzdem ein starkes evangelistisches Anliegen haben.»

Auch über die Frage, was uns zur Evangelisation motiviert, wird ebenfalls diskutiert. Dabei geht es um die Verlorenheit der Menschen und auch um die positiven Aspekte des Evangeliums, welche zu einer positiven Vision der Mission führen.

Kleine Anfänge würdigen

Das Buch «Gemeinde mit Mission» ist kein Regelwerk für ein korrektes Vorgehen der Kirche, sondern ein Begleithandbuch für Christen, die neu überlegen wollen, wie sie in einer postchristlichen Zeit missionarisch unterwegs sein können – mit einem «hoffnungsvollen Realismus». Zu seinen Beweggründen sagt Philipp Bartholomä: «Es ist mir wichtig, nicht wieder eine Story zu beschreiben, die Druck macht und dann Leute bricht, wenn sich die erwarteten zahlenmässigen Erfolge nicht einstellen.» In den vergangenen Jahrzehnten habe er diesbezüglich genug Kollateralschaden gesehen, der durch überbordenden Optimismus angerichtet wurde. Vielmehr will er kleine Anfänge würdigen und Mut machen, überhaupt Schritte zu gehen. Er will sich aber auch nicht mit den kleinen Anfängen zufriedengeben, sondern beten, dass Gott sein Werk belebt und wir noch einmal erfahren können, wie viele Menschen zum Glauben kommen.

Datum: 07.06.2023
Autor: Markus Richner-Mai
Quelle: Livenet

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