Barmherzigkeit

Hundert Franken bar auf die Hand

Wie viel Barmherzigkeit braucht es fürs Seelenheil? Diese Frage beantwortet der freischaffende Pfarrer Fredy Staub.
100 CHF

Es geschieht nach meiner Predigt. Wie so oft versuche ich besonders mit denjenigen Predigtbesuchenden ins Gespräch zu kommen, die selten in der Kirche anzutreffen sind. Sogleich kommt ein älterer Herr auf mich zu und drückt mir eine Hunderternote in die Hand. Tief in meine Augen schauend kommt es über seine Lippen: «Für die Armen». Ich bedanke mich herzlich und erkundige mich nach seiner Meinung zum Inhalt meiner Predigt. (Ich predigte über die Bedeutung der Hinwendung Jesu zu uns - und unsere Hinwendung zu ihm.) Unverzüglich kommt es wie eine Lawine aus seinem Mund: «Nein, nein. Ich halte nichts von Gott, glaube weder an Jesus, noch an die Bibel. Auch an der Kirche habe ich überhaupt kein Interesse. Ich will gut leben. Das reicht mir.»

Damit hat er sich dann auch schon verabschiedet. Wie mir einige Minuten später zugetragen wird, ist dies tatsächlich ein Mensch im Dorf, der mit Ausnahme des heutigen Gottesdienstes und einer Beerdigung nie in die Kirche kommt. Und er ist wohl (in finanzieller Hinsicht) einer der reichsten, wenn nicht überhaupt der reichste Bürger dieses Ortes.

Während ich die Hunderternote in meinen Händen halte, lässt mich eine Frage nicht mehr los: Wie kann es sein, dass ein Mensch vorbildlich leben will und doch gar nichts von dem wissen möchte, was uns Christen erfüllt, motiviert und uns alles wert ist? Irgendwie werde ich traurig, dass es mir nicht gelungen ist, mit diesem interessanten Mann darüber ins Gespräch zu kommen. Ich habe den Eindruck, ich könnte eine Menge von ihm lernen.

Der Mann praktiziert mit seiner Gabe sichtbare Barmherzigkeit. Wunderbar für die notleidenden Menschen, denen dieses Geld nun zugutekommt. In diesem Punkt und in diesem Moment ist der reiche Mann für mich ein Vorbild. Bei meiner Predigt habe ich keinen einzigen Gedanken über finanzielle Spenden geäussert. Ich frage mich nur: Will dieser Mann vielleicht so vorbildlich leben, dass er die göttliche Erlösung nicht mehr nötig hat? Ich weiss es nicht, will ihm dies auch gar nicht unterstellen. Und wenn auch –  er hat immer noch die Möglichkeit, sich Jesus gegenüber zu öffnen, was ich ihm von Herzen wünsche. Heute. Und hoffentlich auch Morgen.
Und ich nehme mich an der Nase: Das Seelenheil muss mehr mit meinen barmherzigen Lebensstil zu tun haben, als ich bisher dachte.

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Fredy Staub

Datum: 05.04.2012
Autor: Fredy Staub
Quelle: Christliches Zeugnis

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