Walter Dürr: «Das Konferenzthema ist prophetisch!»
Walter Dürr, wie erleben Sie die Zeit des Lockdown in der Corona-Krise?
Walter Dürr: Wir sind alle massiv herausgefordert. Keine gemeinsamen Gottesdienste
mehr feiern zu können, nicht einmal mehr Kleingruppentreffen, das hat
es wahrscheinlich so noch nie gegeben. Sich fast täglich einer neuen
Situation anpassen zu müssen, ist anstrengend. Und dann alles immer auch
noch für unsere Gemeinde, für die Schulkooperative und für unser
praktisch-theologisches Seminar «Masters Commission» zu übersetzen, das
war ziemlich ermüdend. Darüber hinaus mussten wir auch als
Studienzentrum für Glaube und Gesellschaft an der Universität Freiburg
die Konsequenzen durchdenken und unsere Planung laufend anpassen.
Universität und Gemeinde haben ihre Büros geschlossen – wir haben auf
Home-Office umgestellt. Erst mit der Zeit wurde es etwas ruhiger. Ich
habe dann an einigen Gebetszeiten im Rahmen unserer virtuellen
Kar-Gebetswoche teilgenommen.
Die Aussichten, dass der Lockdown bald endet, sind trübe. Was
bedeutet das für die Studientage in Freiburg – verschieben auf 2021?
Wir haben uns gegen eine Verschiebung entschieden.
Warum – durchführen geht wohl kaum?
Weil wir das für 2020 geplante Thema «Wachet und betet» genau in
Zeiten gesellschaftlicher und politischer Unruhe – also für diese Zeit –
als prophetisch erachten. Wir werden die Studientage 2020 deshalb
online durchführen, mit aufgezeichneten Vorträgen, Diskussionen mit den
Beitragenden und Gesprächsrunden mit ihnen. Es war eine Herkulesaufgabe,
mitten im Lockdown zu überlegen, wie ein Anlass mit gegen 600
Teilnehmern und 55 Referentinnen und Referenten als Online-Event
stattfinden kann!
Wie muss man sich den Ablauf vorstellen?
In den Monaten Mai und Juni werden wir jede Woche eine E-Mail
versenden mit thematischen Videos. Dadurch werden Einführungen zu
verschieden Arten des Gebets zugänglich und zum Teil auch Gespräche
untereinander über eine Internet-Plattform ermöglicht. Das Beste ist:
Wir reden nicht nur über das Gebet, wir wollen auch tatsächlich
miteinander beten. Dazu gestalten wir die Online-Studientage gemeinsam
mit der Kommunität von Taizé. Wir wollen uns ihrem Gebetsrhythmus bzw.
ihren Abendgebeten anschliessen.
Was muss ich tun, um online teilzunehmen?
Bei Interesse kann man sich auf der Webseite www.unifr.ch/glaubeundgesellschaft
für die wöchentliche Mail mit den Inhalten anmelden. So kann man im
eigenen Rhythmus und nach Wahl Vorträge anhören, Blogs lesen, Webinare
mitverfolgen. Die Webinare mit den Referierenden und mit der
Möglichkeit, Fragen zu stellen, finden zu festgelegten Zeiten statt.
Diese Ressourcen können wiederverwendet, weitergeleitet und im eigenen
Umfeld fruchtbar gemacht werden.
Sind die Online-Angebote kostenpflichtig?
Wir wollen die Online-Angebote gratis für alle zugänglich machen,
sodass in dieser herausfordernden Zeit möglichst viele Menschen
mitmachen, von den Ressourcen profitieren und hoffentlich auch mitbeten
können. Niemand soll aus finanziellen Gründen ausgeschlossen sein.
Was geschieht mit bereits bezahlten Konferenzbeiträgen?
Tatsächlich sind schon fast 200 Anmeldungen eingetroffen, viele haben
auch schon bezahlt. Wir bieten an, den Betrag zurückzuerstatten –
erfreulicherweise haben aber viele ihre Anmeldung ganz oder teilweise in
eine Spende für das Projekt umgewandelt! Da das Studienzentrum
vollständig durch Spenden und Beiträge finanziert ist, sind wir dafür
sehr dankbar und investieren dieses Geld umgehend in die Umsetzung des
Online-Projekts. Die digitale Umsetzung kostet. Wir haben ein
Aufnahmestudio eingerichtet und zwei Mitarbeiter teilzeitlich dafür
angestellt. Wir beten für die Finanzierung und sind froh um jede Spende.
Was steht beim Tagungsthema «Wachet und betet» im Fokus?
Das «Wachen und Beten» und die gesellschaftlichen und politischen
Unruhen unserer Zeit. Theologie soll dem guten Leben dienen und helfen,
die Zeichen der Zeit zu verstehen. In wilden Zeiten soll sie die Frage
beantworten: «Was heisst 'Leben in Fülle' in Zeiten einer Covid-19-Pandemie?» Dabei geht es um das Zentrum des Glaubens – Jesus Christus –
und wie wir individuell in Christus wachsen können, gerade inmitten
solcher Unruhen. Und es geht um die Frage, welchen Beitrag die Kirche,
die aus dem Glauben an Christus und der Kraft des Heiligen Geistes lebt,
in diesen Herausforderungen leisten kann. Parallel dazu geht es auch
darum, die Zeichen der Zeit wahrzunehmen und ihre politischen
Implikationen zu reflektieren: Wie verändert sich unsere Gesellschaft
durch diese Krise? Welche bleibenden Folgen hat dies für den
christlichen Glauben heute und in Zukunft?
Das Studienzentrum plant schon länger eine Medienplattform.
Bekommt dieses Projekt nun aufgrund der Digitalisierung der Studientage
neue Priorität?
Ja, tatsächlich machen wir uns im Studienzentrum schon seit letzten
Sommer Gedanken gemacht über eine Medienplattform, die gute Theologie
auf verständliche und ästhetisch ansprechende Weise einer breiten
Öffentlichkeit zugänglich machen soll. Schon vor der Corona-Krise haben
wir deshalb unser Team erweitert, um diese Plattform aufbauen zu können.
Neben klassischen Vorträgen sollen auch Video-Essays zu brennenden
Themen, animierte Kurzvideos, biografische Beiträge zu grossen
Theologinnen und Theologen etc. produziert werden. Begleitend dazu ist
ein Blog geplant in Zusammenarbeit mit dem Collegium Emmaus, dem
Doktoratsprogramm, das wir als Studienzentrum koordinieren. Mit diversen
Partnerorganisationen sich wir im Gespräch über einen Podcast. Als dann
die Corona-Krise kam, waren wir einerseits gezwungen, gewisse Anlässe
abzusagen. Gleichzeitig sahen wir uns aber ermutigt, unsere
Medienplattform als «prophetisches Projekt» zu begreifen und dieses
dafür umso aktiver voranzutreiben. Weil viele Vorarbeiten schon gemacht
waren, konnten wir darüber nachdenken, die Studientage kurzfristig
online durchzuführen... wir deuten das als unseren Auftrag in dieser
Zeit.
Die Plattform soll bald laufen. Doch das Projekt ist
anspruchsvoll: Neben dem Aufbau von Studio und Technik wollen Sie Videos
produzieren, Vorträge digitalisieren, biografische Beiträge erarbeiten
und einen Podcast anbieten. Wie steht es um die Ressourcen?
In Biel haben wir zwei provisorische Aufnahmestudios eingerichtet –
mit ausgeklügelten Massnahmen für Abstand und Hygiene! Dort werden nun
nach und nach Vorträge, Interviews und Kurzbeiträge von Rednerinnen und
Rednern gefilmt und damit die ersten Bausteine der Medienplattform
zusammengetragen. Diese Vorträge werden von unserem Team aufgearbeitet
und dann schrittweise im Internet veröffentlicht. Wir wollen die
Plattform im Sommer dieses Jahres lancieren. Von den Ressourcen her
haben wir vor allem hochmotivierte Mitarbeitende und ein grosses
Netzwerk von engagierten Professorinnen und Referenten. Viele haben ihre
Mitarbeit schon zugesagt. Die Aufnahmen für die Studientage 2020
«Wachet und betet» und für die Plattform laufen bereits auf Hochtouren.
Es macht sehr viel Freude!
Wie finanzieren Sie den weiteren Betrieb der Medienplattform?
Es laufen Gesuche an Stiftungen und universitäre Institutionen.
Mittelfristig muss ein Netzwerk von Unterstützerinnen und Förderern
entstehen, die das Studienzentrum und die Plattform tragen. Denn das
Studienzentrum erhält keine staatlichen Beiträge und muss sich
vollständig durch Drittmittel, also Spenden, finanzieren. Der Aufbau der
Medienplattform wiederum braucht gute Ideen, kreative und finanzielle
Ressourcen, einige Nachtschichten an Arbeit und vor allem viel Gebet.
Derzeit sind auch andere theologische Ausbildungsstätten dran,
ihre Angebote digital zu machen. Wird auch da an ein Netzwerk und an
eine Zusammenarbeit gedacht?
Wir sind vor allem beim Podcast im Gespräch mit mehreren christlichen
Organisationen und Partnern der Studientage. Für die Medienplattform
sind wir allerdings von der Corona-Krise überrollt worden; solche
Gespräche haben bis jetzt noch nicht stattgefunden. Aber was nicht ist,
kann noch werden.
Was ist Ihre persönliche Hoffnung in dieser besonderen Zeit?
Dass sich die Gesellschaft nicht nur mit der Frage beschäftigt, wann
der Lockdown vorbei ist, sondern mit der Frage, was das heissen mag und
was sich eventuell im Leben von uns allen fundamental verändern müsste.
Besonders von den Christenmenschen und den Kirchen erhoffe ich mir einen
Lebensstil der Hoffnung, der die Tragfähigkeit unseres Glaubens auch in
stürmischen und wilden Zeiten offenbart.
Dieser Artikel erschien im Magazin «Idea Spektrum Schweiz».
Zur Webseite:
Studienzentrum für Glaube und Gesellschaft
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Datum: 21.04.2020
Autor: Rolf Höneisen
Quelle: Idea Spektrum Schweiz