Interview mit Kurt Trachsel

Wenn Heroinsüchtige Erdbeeren pflanzen

Kurt Trachsel stammt aus dem Berner Oberland. In der heimischen Bergwelt ist er aber selten: er baut 1200 Kilometer südöstlich davon die erste Drogenreha des Kosovo.
Kurt Trachsel (2. v.l.) auf dem Dach des Zentrums.
Der Eingang zur ersten Drogenreha im Kosovo.
Dorfidylle.
Hinter dem Hügel beginnt die Provinzhauptstadt Gjilan.

Zwei Knaben treiben eine Handvoll Kühe über die holprige Strasse, um die sich ein paar unverputzte Häuser geschart haben. Da und dort hängt bunte Wäsche an den Leinen, im Hintergrund zeichnet sich die nahe Provinzhauptstadt Gjilan ab. Die Sonne brennt, während ein stämmiger Arbeiter ungebremst mit Ziegeln auf dem Dach hantiert.

Kurt Trachsel aus dem Berner Oberland baut hier in einem leicht hügeligen Gebiet des Kosovo ein Haus, das zuerst im Dorf umstritten war. Nicht wegen dem Anwesen an sich. Die mit roten Backsteinen hochgezogenen Mauern unterscheiden sich kaum von den anderen Bauwerken ringsherum. Kritik erntete er auch nicht, wegen dem geplanten Bebauen des Bodens. Säen will er unterschiedliche Dinge, zum Beispiel Erdbeeren, weil diese, zur rechten Zeit an den Mann gebracht, einen guten Preis geben. Mühe hatten manche mit denjenigen, die das Haus bewohnen sollen: Drogenabhängige. Trachsel baut in Zusammenarbeit mit «Partner Aid International» (PAI) das erste Zentrum für Süchtige in Kosovo.

Livenet.ch: Kurt Trachsel, sie und ihre Familie stammen aus dem Berner Oberland, bauen nun aber hier im Kosovo ein Haus mit mehreren Geschossen - was entsteht hier?
Kurt Trachsel:
Wir bauen hier ein Haus, es ist aber nicht für uns, sondern hier entsteht eine Drogenreha für den Kosovo.

Wird dies eines unter vielen?
Nein, ich würde es als Pionierarbeit einordnen, denn im Kosovo gibt es keine einzige Drogenreha. Wir sind die ersten.

Gibt es da nicht Probleme mit dem Glauben?
Wir sind überzeugte Christen und versuchen, unsere Werte weiterzugeben. Doch auch wenn wir in einem islamischen Land leben, denken wir nicht, dass die Teilnehmer ausbleiben. Im Gegenteil, die Abhängigen kümmert es wenig, was wir glauben. Ihr Hauptanliegen ist, dass sie von den Drogen frei kommen. So denken wir nicht, dass das Haus leer stehen wird, denn hier leben viele Abhängige und wir sind das einzige Angebot. Vielleicht werden wir nicht einmal alle aufnehmen können, die Interesse zeigen.

Wie viele Menschen sind von der Sucht betroffen?
Man spricht von 3500 Abhängigen im Kosovo. Das ist prozentual vergleichbar mit der Schweiz, aber es gibt eine sehr grosse Dunkelziffer. Niemand weiss, wie viele es wirklich sind. Alleine hier in der Stadt Gjilan leben etwa 300 Menschen, die vom Heroin abhängig sind. Sie werden nicht betreut, es gibt einzig eine Stelle, die Methadon abgibt.

Was führte dazu, dass sie nun dieses Zentrum aufbauen?
Wir kamen nicht in den Kosovo um eine Drogenreha aufzubauen, sondern als Gemeindebauer. Aber wir wollten gleichzeitig auch etwas Humanitäres und Soziales schaffen. Bisher halfen wir sozial Schwachen Häuser bauen oder renovieren. Hierbei hatte ich einen Arbeiter, bei dem ich herausfand, dass er süchtig ist nach Heroin. Durch die Beziehung zu ihm, wurde ich auf das Drogenproblem aufmerksam und wir fanden heraus, dass es im ganzen Kosovo keine Stelle gibt. Und so entschieden wir, dass wenn wir schon humanitär oder sozial arbeiten wollen, es in diesem Bereich tun können, in dem die Not so gross ist.

Wie kommt ihr Bestreben hier an?
Bei den Leuten, mit denen ich gesprochen habe, ist die Drogenreha sehr willkommen, gleich sieht es bei der Bevölkerung aus. Diese sagt sich: morgen kann vielleicht mein Sohn oder meine Tochter abhängig werden. Wer die Lage kennt, begrüsst es.

Auch die Stadt findet es gut. Wir bauen es nun in einem Dorf in der Nähe auf. Die Bewohner waren zuerst sehr skeptisch, weil sie nicht wussten, wie die Arbeit mit Abhängigen funktioniert.

Planen sie weitere solche Zentren?
Wir selber nicht, aber wir hoffen, dass jemand an einem anderen Ort auch so etwas aufbaut. Wir selbst werden mit der Zeit eher ein weiteres Angebot auch für Frauen errichten.

Sehen sie darin eine Chance für die christliche Gemeinde, wenn sie sich hier um die Nöte kümmert?
Wir sehen es als Dienst am Nächsten und an einer Randgruppe. Ich denke schon, dass wir ein Zeichen setzen können, nicht nur durch Worte sondern durch die Tat.

Wie soll der Alltag aussehen?
Am morgen gibt es Unterricht, das heisst, verschiedene Lehrmodule für die Abhängigen. Nachmittags dann folgt Arbeit und Sport sowie nach dem Abendessen ein Freizeitprogramm.

Und das Ganze soll Selbsttragend werden ...
... zum Grundstück gehört fast eine Hektare Land, das wollen wir nutzen um ein Einkommen zu erwirtschaften, so dass wir das Zentrum mit der Zeit selbst finanzieren können. Dazu wollen wir Dinge anpflanzen, die hier nicht so oft erhältlich sind, so dass man einen guten Preis erhält.

Wir sind in der Pionierphase und suchen noch Mitarbeiter. Eine deutsche Frau arbeitet mit und ab 2011 eine Familie, eine dritte wäre aber gut. Dann kann man sich auch ablösen.

Für den Start braucht das Zentrum noch:

- Traktor
- Ballenpresse
- Pflug
- Bodenfräse
- Egge
- Motormäher oder Mähwerk
- Kippanhänger für Traktor

und andere landwirtschaftliche Geräte.

Datum: 02.10.2009
Autor: Daniel Gerber
Quelle: Livenet.ch

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