Islam in Deutschland

Islamkonferenz offenbart Kluft zwischen den Moslems

Der Abschluss der Deutschen Islamkonferenz stösst auf ein geteiltes Echo. Bei der letzten Sitzung in dieser Legislaturperiode konnten sich am Donnerstag Vertreter der Moslems weder über die Rolle der muslimischen Verbände für die Integration noch über die Offenlegung der Finanzen der Verbände verständigen.
Um dem Problem zu begegnen, dass muslimische Mädchen vom Schwimm- und vom Sexualkundeunterricht abgemeldet werden oder an Klassenfahrten nicht teilnehmen dürfen, wird Schulen empfohlen, Eltern in deren Herkunftssprache über den Schulalltag oder Unterrichtsinhalt aufzuklären.

Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble, der die Islamkonferenz einberufen hatte, sagte, in vielen Fragen seien die Teilnehmer vorangekommen. Doch niemand habe erwarten können, dass nach drei Jahren alle Probleme gelöst seien. Die Islamkonferenz ermögliche den Moslems in Deutschland, Differenzen offen auszutragen und diene damit auch der Stärkung einer demokratischen Streitkultur unter ihnen. Sie solle nach den Wahlen im September weitergeführt werden.

Toleranz und Respekt

Dem Abschlussdokument zufolge ist für die Moslems der «Konsens aller Menschen über Verhaltensregeln im Alltag» ebenso ausschlaggebend für ein friedliches Zusammenleben wie Gesetzestreue. Dazu gehören Toleranz und Respekt gegenüber Andersgläubigen, gegenüber Menschen mit einer anderen Weltanschauung oder Lebensgestaltung, sowie Toleranz und Respekt der Muslime untereinander angesichts unterschiedlicher Richtungen des Islam, sofern sie auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung stehen.

Für islamische Theologie in Deutschland

Eine Arbeitsgruppe der Islamkonferenz regt die Ausbildung religiösen Personals an, auch wegen der integrativen Wirkung einer «in der Mitte der deutschen Gesellschaft verorteten islamischen Theologie».

Weiter empfiehlt die Abschlusserklärung, dass Schulen zur Toleranz erziehen und die deutsche Sprache fördern sollen. Lehrpläne sollen um Informationen zur Geschichte der moslemischen Herkunftsländer erweitert werden. Kindern und Jugendlichen soll die Gleichberechtigung von Mann und Frau als zentrales Element der Werteordnung des Grundgesetzes vermittelt werden.

Muslimische Empfindlichkeiten im Schulalltag

Um dem Problem zu begegnen, dass moslemische Mädchen vom Schwimm- und vom Sexualkundeunterricht abgemeldet werden oder an Klassenfahrten nicht teilnehmen dürfen, wird Schulen empfohlen, Eltern in deren Herkunftssprache über den Schulalltag oder Unterrichtsinhalt aufzuklären. Sollte der Schwimm- und Sportunterricht nicht getrennt nach Geschlechtern stattfinden können, können Muslime von diesen Unterrichtsfächern befreit werden. Moslemischen Schülerinnen müsse es gestattet sein, in der Schule ein Kopftuch zu tragen. Eine Verhüllung des Gesichts sei hingegen mit einer offenen Kommunikation nicht vereinbar.

«Zumeist fruchtlose Debatten»

Die Bilanz des dreijährigen Prozesses fällt gemischt aus. Für die Grünen sagte deren Vorsitzender Cem Özdemir, die Konferenz habe zwar die politische Kultur in Deutschland verändert, es fehlten jedoch konkrete Ergebnisse. Der FDP-Bundestagsabgeordnete Hans-Michael Goldmann forderte, dass das Gespräch mit den Muslimen in Städten und Kommunen umgesetzt werde.

Der Sprecher des Koordinationsrats der Muslime in Deutschland, Ayyub Axel Köhler, sagte, die Muslime hätten „einen grossen Nutzen von der Islamkonferenz davongetragen". Der Islamrat, einer der grossen Dachverbände, forderte die Politik auf, «nicht gegen, sondern mit den islamischen Religionsgemeinschaften zu arbeiten». Der Verband, zu dem die islamistische Organisation Milli Görüs gehört, lehnte Teile des Schlussdokuments ab. Er kritisierte in einem eigenen Papier die «zumeist fruchtlosen Debatten» in der Konferenz.

Übereinstimmend urteilten die meisten muslimischen Teilnehmer, dass mit der Islamkonferenz einer «neuen gesellschaftlichen Realität Rechnung getragen worden (ist), nämlich dass wir Muslime ein Teil Deutschlands sind». Dass die Vielfalt der Muslime in der deutschen Öffentlichkeit mittlerweile stärker zur Kenntnis genommen werde, sei ein Erfolg der Konferenz, heisst es in dem Abschlussdokument.

Muslime in Grundfragen zerstritten

Hingegen bestand Dissens über die Rolle der muslimischen Verbände bei der Förderung der Integration. Während die Islamverbände auf Leistungen wie die Einbindung religiöser Muslime in gesellschaftliche Strukturen oder auf Bildungsangebote verwiesen, betonten nicht-organisierte Muslime, dass die Verbandsaktivitäten weniger die Integration als vielmehr die Segregation, also die Absonderung, förderten.

Keine Einigung zu Islamismus und Iran-Krise

Strittig waren zudem die Schlussfolgerungen des Gesprächskreises zu «Sicherheit und Islamismus». Ein Konsens zum Begriff «Islamismus» konnte nicht erzielt werden. Nach Willen des Gesprächskreises sollen die Verbände etwaige extremistische Bestrebungen in der muslimischen Bevölkerung problematisieren. Der Islamrat kritisierte, der Gesprächskreis stufe Muslime «ohne konkreten Anlass als potenziell gefährlich» ein.

Die muslimischen Einzelpersonen und der Verband der islamischen Kulturzentren verabschiedeten weiter eine Erklärung zur aktuellen Lage im Iran. Darin verurteilten sie die Menschenrechtsverletzungen und verteidigten das Recht auf Meinungsfreiheit. Die übrigen Islamverbände trugen diese Erklärung nicht mit. Zur Begründung hiess es, dies sei eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten des Iran.

Merkel: „Noch nicht am Ende des Dialogs"

Vor der abschliessenden Sitzung der Deutschen Islamkonferenz hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel zugegeben, dass der Staat jahrelang zu wenig mit den Muslimen gesprochen habe. Durch die Islamkonferenz sei aber viel in Gang gekommen, sagte Merkel bei einem Empfang der Teilnehmer der Islamkonferenz am Donnerstag im Bundeskanzleramt in Berlin. «Wir sind noch nicht am Ende des Dialogs», betonte die Kanzlerin. Durch die Konferenz sei deutlich geworden, dass es «den Islam» nicht gebe. «Wir brauchen die Stimmen möglichst vieler Muslime in der Islamkonferenz, um die Bandbreite des Islam zu verstehen», sagte Merkel.

Die Mehrheit der Muslime nicht vertreten

Der Sprecher der Unions-Innenminister der Länder, Hessens Ressortchef Volker Bouffier (CDU), vermisst greifbare Ergebnisse der Islamkonferenz. Die Gesprächsrunde sei zwar richtig und ohne Alternative, weil sie die Muslime in Deutschland ins öffentliche Bewusstsein gerückt habe, sagte Bouffier der «Neuen Osnabrücker Zeitung» vor der vierten Konferenz am Donnerstag in Berlin. Die Konferenz müsse in der kommenden Legislaturperiode unbedingt fortgesetzt werden, um bei Themen wie dem Moscheebau, der Imam-Ausbildung, dem Dialog um die innere Sicherheit oder dem Religionsunterricht zu greifbaren Fortschritten zu kommen, forderte Bouffier.

Es werde noch Jahre dauern, bis an deutschen Schulen flächendeckend islamische Religion unterrichtet werde, sagte der Minister. Die islamischen Verbände müssten sich zunächst nach den Vorgaben des deutschen Staatskirchenrechts organisieren. Die Islamkonferenz sollte sich für neue Teilnehmer öffnen, forderte Bouffier. Die vier grossen islamischen Verbände hätten kein exklusives Vertretungsrecht. Sie repräsentierten höchstens 15 Prozent der Moslems in Deutschland.

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Datum: 27.06.2009
Quelle: Epd

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