Schäppi politisiert für die Evangelische Volkspartei EVP auf Gemeinde- und Kantonsebene. Er erläuterte mit Beispielen aus seinem Alltag die Spannungen, in die engagierte Christen geraten. Peter Schäppi sprach sich für eine menschengerechte, familienfreundliche, auf Solidarität und Bewahrung der Lebensgrundlagen ausgerichtete Politik aus. Dafür gibt die Bibel Leitplanken – Grundsätze, die von Christen in die Politik einzubringen sind, sagte der erfahrene Jurist, der während 12 Jahren Gemeindepräsident von Thalwil war und nun die evangelische Fraktion im Zürcher Verfassungsrat leitet. Livenet dokumentiert im Folgenden Auszüge aus dem Referat von Peter Schäppi: Als Leitvers für mein Referat hat die Konferenzleitung mir den 1. Abschnitt in Römer 13 über das politische Engagement der Christen vorgegeben. Es ist eine schwierige Bibelstelle. Und noch schwieriger ist es, aus dieser Bibelstelle oder auch aus dem Neuen Testament als Ganzem einen politischen Verhaltenskodex für Christen abzuleiten. Ganz klar geht aus Römer 13 der Aufruf an die Gläubigen zum Gehorsam gegenüber der Obrigkeit hervor. Im Neuen Testament stossen wir in Offenbarung 13 jedoch auf eine ganz andere Aussage. Hier wird der Staat als das Tier aus dem Abgrund geschildert, das von den Menschen angebetet werden will. Diese Anbetung sollen die Gläubigen dem Tier verweigern. Was gilt nun: Gehorsam oder Verweigerung? Und was sagt Jesus dazu? Bei ihm heisst es ja: „So gebet dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist!“ (Mt. 22, 21). Ich bin weder Theologe noch Laienprediger und deshalb nicht berufen, diese Bibelstellen auszulegen. Ich möchte Ihnen aber nicht vorenthalten, was Fritz Blanke, Professor für Kirchen- und Dogmengeschichte an der Universität Zürich und EVP-Kantonsrat von 1955 bis 1959, vor rund 50 Jahren über die verschiedenen Zugänge von Christen zur Politik geschrieben hat. Er unterscheidet die folgenden acht Typen: 1. Christen, die den Staat verteufeln. Sie stützen sich auf Offenbarung 13 Unsere Auslegeordnung zeigt, dass es in Geschichte und Gegenwart offensichtlich sehr verschiedene Zugänge der Christen zur Politik gegeben hat und gibt. Welcher von ihnen ist der richtige? Wenn wir das Alte Testament durchblättern, begegnen wir dem Politischen und den Politikern auf Schritt und Tritt. Moses – Josua – David – Salomo – Daniel: alles politische Führer ersten Ranges. Das Neue Testament erscheint dazu als Kontrapunkt: Kein einziger politischer Führer. Jesus selbst war auch kein politischer Führer. Er verstand zwar ganz genau, dass die Juden ihn gerne als politischen Führer gegen die römische Herrschaft gesehen hätten, und er hätte sich dafür auch hervorragend geeignet. Denken wir nur an die überlegene Art, wie er mit den Führern der Juden oder auch mit dem römischen Statthalter Pilatus umging. Und doch wollte er nichts von einem politischen Engagement wissen, denn – so sagt er es dem Pilatus - „mein Reich ist nicht von dieser Welt“ (Joh. 18,36). Auch bei den Aposteln, die alle das Evangelium verkündigten und Gemeinde bauten, übernahm keiner eine politische Führungsrolle. (...) Ist es nicht viel eher die Aufgabe der Christen, zu evangelisieren und Gemeinde zu bauen und auf diese Weise zu einer besseren Gesellschaft beizutragen? Römer 13 scheint eine solche apolitische Haltung nahe zu legen, zumal das Neue Testament die Christen nirgends dazu aufruft, sich am staatlichen Aufbau zu beteiligen. Eine solche Haltung der Staatsabstinenz übersieht jedoch, dass der Staat in der Zeit, als das Neue Testament geschrieben wurde, dem Volk keinerlei Mitwirkungsrechte bot. Das hat sich inzwischen in den christlich geprägten Staaten gründlich geändert. Es ist auch keineswegs ein Zufall, dass die demokratische Staatsform in Ländern mit christlich geprägter Kultur entstanden ist und sich hier verbreiten konnte. Das Christentum ist keine autoritäre Religion. Wer durch Jesus Christus in einer lebendigen Beziehung zum Vater steht und lebt, ist vielmehr zur Freiheit berufen. Und er achtet den Nächsten wie sich selbst. Dieser neue Menschentyp und seine Ethik haben die Gesellschaft radikal verändert. Ich behaupte sogar, dass der demokratische Rechtsstaat ein Ausfluss, eine Art „Begleiterscheinung“ einer durch das Christentum geprägten Gesellschaft ist. Das verpflichtet! Mit anderen Worten: Christen sollen und dürfen sich im Sinne von Typus 8 im Staat engagieren! Wie soll das geschehen? Gewiss, politische Verantwortung kann auf vielerlei Art und Weise wahrgenommen werden. Nicht jeder ist dazu berufen, in einer Partei oder einer Behörde mitzuwirken. Aber dass wir unsere politischen Rechte wahrnehmen, an Wahlen, Abstimmungen und Gemeindeversammlungen teilnehmen, Initiativen und Referenden unterschreiben, all das betrachte ich eigentlich als Christenpflicht. Dass viele Christen sich darüber hinaus direkt in der Politik engagieren, ist eine logische Folge dieses Basis-Engagements. So wie geeignete Männer und Frauen zu besonderen Diensten in der Gemeinde berufen sind, beruft Gott auch geeignete Männer und Frauen zu einem besonderen Dienst in der Öffentlichkeit. Wie sieht dieser Dienst konkret aus? Da erzähle ich wohl am besten ein wenig aus meiner eigenen Tätigkeit. Sie umfasst alle 3 Staatsgewalten – die Legislative, die Exekutive und die Justiz. Da wäre zunächst mein Hauptamt als Bezirksrichter in Zürich zu nennen. Das Richteramt ein politisches Amt? Eindeutig ja! Das Richteramt gehört nicht nur zu den Kernaufgaben des Staates, es wird auch direkt durch das Volk verliehen. Das Richteramt ist ein öffentliches Amt. Dem Richter ist die Streitschlichtung zwischen Privaten und die Bestrafung von Gesetzesbrechern übertragen. Beides beruht auf dem rechtsstaatlichen Gedanken, der das Gewaltmonopol dem Staat überträgt. Da braucht es verantwortungsvolle Amtsträger, die dieses Monopol ausüben. Der Richter geniesst daher seit jeher ein hohes Ansehen. Er kann sein Amt allerdings auch missbrauchen. Um solche Missbräuche zu verhindern, übt das Volk durch die Volkswahl die direkte Kontrolle über die Justiz aus. Ausserdem ist die Justiz durch das Gesetz gebunden. Im Übrigen ist sie aber von den übrigen Staatsgewalten völlig unabhängig. Die Tätigkeit des Richters hat allerdings nichts mit der Tagespolitik zu tun. Sie ist deswegen auch anders als die Tätigkeit der übrigen Staatsgewalten und weniger im landläufigen Sinn politisch. Sie ist deswegen aber keinesfalls unpolitisch. Als Richter darf ich also eine öffentliche Aufgabe in einem Kernbereich des Gemeinwesens ausüben und nehme damit als Christ ein Stück politische Verantwortung wahr. 20 Jahre lang, von 1978 bis 1998, war ich im Nebenamt im Gemeinderat, d.h. in der Exekutive von Thalwil tätig, davon die letzten 12 Jahre als Präsident. Die Wahl als Gemeindepräsident im Jahre 1986 habe ich als Weichenstellung Gottes erlebt. Für das Gemeindepräsidium interessierte sich damals nämlich auch ein freisinniges Ratsmitglied. Wie sollte ich diese Wahl gewinnen, wenn die Freisinnigen mindestens 25% der Wählerschaft mobilisieren können und die EVP höchstens 10%? Und doch: im 2. Wahlgang erzielte ich einige Dutzend Stimmen mehr als mein Konkurrent. Da kann ich nur sagen, Gott hat es so gefügt. Mit Freude und Engagement habe ich 12 Jahre lang als Gemeindepräsident von Thalwil gewirkt. (...) Wie sieht eine christliche Politik überhaupt aus? Da muss ich Sie enttäuschen. Eine christliche Politik gibt es nicht, es gibt nur eine von Christen geprägte Politik. Die Bibel gibt uns nämlich keine Antwort auf die politischen Tagesfragen. Oder kann mir jemand von Ihnen angeben, was die Bibel zum Beginn und zum Ende der Nachtflugsperre aussagt oder zur Höhe der Kinderzulagen oder zur Grundstufe an der Primarschule? Zu all diesen konkreten politischen Sachfragen sagt die Bibel nichts. Gott lässt uns Menschen vielmehr freie Hand bei der Ausgestaltung der gesellschaftlichen Ordnung. Obwohl die Bibel zu Tagesfragen keine Antworten gibt, sind die ihr zu Grunde liegenden Werte und ihr Menschenbild sehr wohl verlässliche Leitplanken bei der Ausgestaltung eines politischen Programms. So ist es sicher kein Zufall, dass die Familien- und die Sozialpolitik bei der EVP zu oberst auf der politischen Agenda stehen. In den letzten Jahren ist auch die Umweltpolitik nach oben gerückt. Auf die Zerstörung der Natur und die daraus erwachsenden Gefahren für Mensch und Tier muss eine christlich geprägte Politik unbedingt reagieren. Die 3 genannten Schwergewichte entsprechen auch der Wahrnehmung der EVP-Politik in der Öffentlichkeit, denn der EVP wird in ethischen, sozialen und ökologischen Fragen Kompetenz attestiert, d.h. Sachverstand und die Fähigkeit, auch als kleine Partei in diesen Gebieten brauchbare Lösungen zu finden. Eine Schwergewichtssetzung in der Familienpolitik, in der Sozialpolitik und in der Umweltpolitik (zu der auch der Verkehr gehört) entbindet eine politische Partei natürlich nicht von der Verpflichtung, sich auch in den anderen Politikbereichen zu engagieren. Bildungspolitik, Ausländerpolitik, Gesundheitspolitik, Finanzpolitik gehören deshalb ebenso in unser Repertoire wie Fragen der Ausgestaltung des demokratischen Rechtsstaates. Ich habe vorhin von Leitplanken gesprochen, welche uns die Bibel bei der Ausgestaltung des politischen Programms gibt. Worin bestehen diese Leitplanken? In der Sachpolitik sehe ich sie in Begriffen wie Gerechtigkeit, Schutz der schwächeren Glieder der Gesellschaft, Gemeinwohl vor Eigeninteresse, usw. Wenn Kinder zur Armutsfalle werden, sind wir gefordert, die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für Familien - vollständige wie unvollständige - zu verbessern und uns für höhere Kinderzulagen, höhere Kinderabzüge bei den Steuern und Ergänzungsleistungen für Familien am Existenzminimum einzusetzen. Wenn Ausländer diskriminiert werden, haben wir uns für deren Rechte zu wehren. Und wenn Fehler der Manager auf dem Buckel der Mitarbeiter ausgebadet werden sollen, stehen wir für deren Rechte ein. Dabei haben wir erst noch durch das Privileg, dass wir offene Fragen im Gebet vor Gott tragen dürfen und so aus der engen Verbindung mit ihm auch immer wieder Impulse für unser Handeln erhalten. Die Werte-orientierten Leitplanken allein genügen aber nicht. Sie werden ergänzt durch Grundanforderungen an die christlichen Politiker selber. Hier geht es um charakterliche Grundanforderungen wie Bescheidenheit, Dienst an der Allgemeinheit und am Nächsten, Charakterstärke usw. Vor allem diese charakterlichen Grundanforderungen machen das Politisieren als Christ nicht immer einfach. Die Erwartungen sind hoch. Trotz unserer Verankerung im Glauben sind wir ja nicht einfach bessere Menschen und deshalb nicht davor gefeit, andere zu beleidigen, in der Hitze des Gefechts rassistische Aussprüche zu machen, aus Ehrgeiz die Wahrheit zu ritzen oder auch ganz einfach zu schweigen, wo wir unsere Stimme erheben müssten, und dadurch zu versagen. Wo immer wir versagen, dürfen wir aber auch unseren Vater im Himmel um Vergebung bitten und daraus die Kraft schöpfen, uns auch bei Menschen, die wir verletzt haben, zu entschuldigen. Die politischen Parteien versuchen immer wieder, ihre Grundhaltung in einem Slogan auf den Punkt zu bringen. Die EVP verwendet dafür seit einigen Jahren den Slogan "Menschen für Menschen". Dieser Slogan drückt meines Erachtens die Leitplanken christlicher Politik sehr treffend aus. Er beinhaltet ein Ja zum politischen Engagement von Christen und nennt auch dessen Zielsetzung, den Dienst am Nächsten und an der Allgemeinheit. Bericht über die Eigen-Konferenz
Datum: 17.07.2003
(...) Zum Alltag eines christlichen Politikers gehört das Sammeln von Unterschriften ebenso wie die Begründung eines Gottesbezuges in der Verfassung, das Verfassen eines Argumentariums für eine lokale Eisbahn-Initiative ebenso wie das Vermitteln im Prozess, die Anordnung von Ausschaffungshaft ebenso wie ein Input an einer Fraktionssitzung über die Aufgabe von Christen, in Bosnien und bei uns Brücken zu bauen.Die Bibel zum politischen Engagement
Acht Zugänge zur Politik
2. Christen, die den Staat „verchristlichen“. Sie stützen sich auf die Bergpredigt.
3. Christen, die sich vor dem Staat beugen, obwohl er sich göttliche Eigenschaften zuschreibt, weil sie nicht die Kraft zum Martyrium haben, wie es Offenbarung 13 verlangt.
4. Christen, die obrigkeitsgläubig oder staatsfromm sind. Sie stützen sich auf Römer 13.
5. Christen, die den Staat "verkirchlichen" wollen. Diese Tendenz, die den Staat der Herrschaft der Kirche unterstellen will, war besonders im Mittelalter sehr stark.
6. Christen, die im Staat ein besonderes christliches Wächteramt wahrnehmen wollen. Ein solches Wächteramt hatte die reformierte Kirche im Kanton Zürich nach Zwingli während vielen Jahrhunderten.
7. Christen, die dem Staat gegenüber abstinent sind. Diese evangelischen Passivbürger wollen mit der Welt nichts zu tun haben, sie sehen ihren Auftrag allein im Bau des Reiches Gottes und überlassen den Staat bewusst den Nichtgläubigen.
8. Christen, die ihre politische Verantwortung wahrnehmen. Sie stützen ihre Haltung nicht auf eine einzelne Bibelstelle, sondern auf das Ganze des Christseins. Fritz Blanke beschreibt sie wie folgt: „Christen sind Menschen, die aus der Knechtung durch Sünde, Tod und Teufel erlöst worden sind. Darum, weil wir selbst Freigewordene sind, werden wir auch im staatlichen Bereich alles fördern, was Befreiung bedeutet. Wir werden keinem Gewissenszwang der Obrigkeit Vorschub leisten, wir werden gegen die Überherrschaft eines einzelnen oder der Masse ankämpfen, wir werden für eine gerechtere Verteilung der Lasten und Lebensmöglichkeiten eintreten und wir werden alle Bestrebungen unterstützen, die dem leiblichen und geistigen Aufstieg des Volkes dienen.“ Und zum Schluss findet Fritz Blanke auch noch eine Bibelstelle, welche diese Haltung umschreibt: Sie steht allerdings im Alten Testament. Hier ruft Jeremia den Juden in der Babylonischen Gefangenschaft zu: „Suchet das Wohl des Landes“ (Jer. 29,7).Waren Jesus und die Apostel apolitisch?
Christlich geprägte Demokratie: Freiräume gestalten!
Politisches Engagement konkret...
... in der Justiz
... in der (Gemeinde-)Exekutive
‚Eine christliche Politik gibt es nicht‘
Leitplanken für menschengerechte Politik
Gefordert: Menschen mit Charakter
Quelle: Livenet.ch
An der 95. Eigen-Konferenz 2003 ob Grünenmatt im Emmental hielt der Zürcher Bezirksrichter Dr. iur. Peter Schäppi am 12. Juli einen Vortrag über die politische Verantwortung, die Christen übernehmen sollen. Ausgehend von den grundlegenden Aussagen des Apostels Paulus im Brief an die Römer (Kapitel 13), streifte er die verschiedenen Grundhaltungen, die Christen in der Geschichte gegenüber dem Staat eingenommen haben.