Religionsfreiheit in der Schweiz

In der Schweiz gibt es noch Religionsfreiheit.

René Pahud de Mortanges ist Professor für Rechtsgeschichte und Kirchenrecht an der Universität Fribourg und leitet das Institut für Religionsrecht. Im Interview begründet er, weshalb das Grundrecht der Religionsfreiheit in der Schweiz im Allgemeinen nicht in Gefahr ist.

Thomas Hanimann: Freiheit für Missionsaktivitäten ist in vielen Ländern eingeschränkt. Es gibt Antibekehrungsgesetze. Wird in einigen Jahren auch in der Schweiz über ein solches Gesetz diskutiert werden?

René Pahud de Mortanges: Dies wäre rechtlich nicht einfach zu bewerkstelligen. Die Religionsfreiheit ist nämlich auf Verfassungsebene geschützt; das kann man mit einzelnen neuen Gesetzen nicht einfach aushebeln. Auch politisch sehe ich keine solche Gefahr am Horizont. Beim letzten Rechtsfall vor Bundesgericht zu diesem Thema ging es vor ein paar Jahren um die Werbung der Scientologen auf öffentlichem Grund in Basel.

Also ist auch das Recht zu Missionieren garantiert?
Da machen Sie wohl eine Anspielung auf die Aktivitäten der Freikirchen. Auch für sie gilt die Religionsfreiheit nach Artikel 15 BV. Diese schliesst das Recht ein, mit seinem Glauben zu missionieren, auf andere Menschen zuzugehen und sie zu überzeugen.

Wünscht sich der Staat da nicht eine bessere Überwachung?
Vor ein paar Jahren ging es im Sektenbericht des Parlaments unter anderem um diese Frage. Der Bundesrat sah dann aber wenig Handlungsbedarf in diesem Bereich. In letzter Zeit zeigt sich allerdings, dass die Bundesbehörden vermehrt ein Sensorium für die Bedeutung religiöser Fragen entwickeln. Dies bestimmt auch im Zusammenhang mit den Diskussionen um den Islam. Es geht vor allem darum, dass die Bundesverwaltung in konkreten Fragen zum Thema Religion und Religionsgemeinschaften besser informiert ist.

Im Zusammenhang mit dem Islam bestehen ja auch Ängste. Wie sieht die Schweiz in zehn Jahren aus?
Diese Religionsgemeinschaft, die heute 4,3 Prozent der Bevölkerung ausmacht, ist zwar relativ klein, wird aber heute in der Öffentlichkeit stark wahrgenommen. Ich denke, dass sich der Islam sukzessive in unser religionsrechtliches System integrieren wird. Mit einem dramatischen Wechsel der Religionslandschaft in der Schweiz in den nächsten Jahren rechne ich nicht. Die neueren statistischen Erhebungen zeigen, dass etwa der Rückgang der Mitgliederzahlen der Landeskirchen weniger dramatisch ist, als noch vor zehn Jahren angenommen wurde.

Wie werden die religionsrechtlichen Konflikte gelöst?
Religionsrechtliche Probleme werden in der Schweiz manchmal pragmatisch, auf aussergerichtlichem Wege gelöst. Es besteht beispielsweise für Muslime kein rechtlicher Anspruch auf eine bestimmte Art des Begräbnisses. Dennoch hat man in der Friedhoffrage in manchen grossen Städten durch die freiwillige Schaffung von muslimischen Grabfeldern auf dem öffentlichen Friedhof Lösungen gefunden. Im Schulwesen gewinnt das Problem des Dispenses für religiöse Feiertage an Bedeutung. Die Schulbehörden sind aber damit meistens zurückhaltend, was ich für richtig halte.

Inwiefern richtig?
Das staatliche Schulwesen hat seine guten Seiten. Das Prinzip, dass alle Kinder die gleiche Schule durchlaufen, hat viel für sich. Nur in dieser Phase ihres Lebens kann der Staat den angehenden Bürgerinnen und Bürgern unmittelbar wichtige gesellschaftliche Werte wie Toleranz, Gleichbehandlung der Geschlechter und Demokratie vermitteln. Durch die Tendenz, mit dem Argument der Religionsfreiheit Sonderbehandlungen einzufordern, kann es für die Schule schwierig werden, ihre Lernziele zu erreichen. Eine Trennung des Schulwesens nach Religionen würde jedenfalls eine unerwünschte Segmentierung der Gesellschaft mit sich bringen.

Mit ihren Wahrheitsansprüchen werden sich die Religionen immer wieder aneinander reiben.
Das Konzept der religiösen Wahrheit wird von den Religionen formuliert. Diesem setzt die Verfassung das Konzept der Religionsfreiheit und der konfessionellen Neutralität des Staates entgegen. In der Schweiz ist das heute allerdings kaum mehr ein Problem. Die christlichen Kirchen – sowohl Landes- als auch Freikirchen – haben keine Probleme mit der staatlichen Religionsfreiheit. Sie haben das Konzept sozusagen verinnerlicht.

Aber nicht alle Religionen scheinen da das gleiche Konzept zu akzeptieren.
Das stimmt. Der Islam tut sich namentlich in den arabischen Staaten mit der Religionsfreiheit, so wie wir im Westen sie verstehen, heute noch relativ schwer. Er akzeptiert die Menschenrechte nur so weit, als diese dem Islam nicht widersprechen. Bezogen auf die Religionsfreiheit sollten aber nach unserem Verständnis für keine Religionsgruppe besondere Privilegien bestehen. Das gilt auch für die Muslime in der Schweiz.

Datum: 29.07.2006
Autor: Thomas Hanimann
Quelle: idea Schweiz

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