Ruedi Graf

«Welcome home – Willkommen zuhause»

Ruedi Graf (49) aus Solothurn war alkohol- und nikotinabhängig. Er sah keinen Sinn mehr in seinem Leben, schloss sich Rechtsextremen an. Durch ein Buch fand er zum Glauben an Gott. Sein Leben erfuhr dadurch eine 180-Grad-Wendung.
Ruedi Graf (Bild: Livenet)
Buchcover «Welcome Home»

«Ich bin als drittes von vier Kindern in einer Arbeiterfamilie in der Innerschweiz aufgewachsen», erzählt Ruedi Graf, 49. Er war ein Träumer, mit vielem in seinem Leben überfordert, und der Schulstoff floss oft an ihm vorbei. Auch auf anderen Gebieten war er nicht so erfolgreich wie seine Geschwister, das bedrückte ihn oft. Während seiner Briefträger-Lehre lebte er von Party zu Party. Als er sich schliesslich Rechtsextremen anschloss, tat sich eine neue Welt auf. «In Wirklichkeit war ich kein Rassist. Aber ich genoss dieses Gefühl der Bestätigung, wenn wir mit Bomberjacken und Springerstiefeln auftraten.»

Beinahe gestorben

Reichlich konsumierter Alkohol liess die Minderwertigkeitsgefühle ebenfalls verschwinden. Als eine Kollegin behauptete, er sei bereits abhängig, wollte der 18-Jährige ihr das Gegenteil beweisen und trank keinen Tropfen mehr. Doch nach einer Woche brach er plötzlich zusammen und kam erst im Krankenhaus wieder zu Bewusstsein. Dort wurde ihm mitgeteilt, dass dieser Zusammenbruch die Folge des Alkoholentzugs gewesen sei. Wenn er wieder zu trinken beginne, hätte er noch etwa zwei Jahre zu leben.

«Für jemand anders wäre eine solche Aussage wohl ziemlich schockierend gewesen, mir war es egal», gesteht Graf. «Ich sah keinen Sinn im Leben, hatte viele Suizidgedanken und trank daraufhin noch mehr.» Die Probleme häuften sich, kein Ausweg aus dieser Abwärtsspirale war in Sicht. Schliesslich wurde er in eine Klinik im Kanton Aargau eingewiesen, die Ärzte verordneten einen stationären Alkoholentzug und eine Therapie.

Übernatürliche Erfahrung

Zwei Pfarrer der Landeskirchen besuchten regelmässig die Suchtpatienten. Einer von ihnen schenkte Ruedi ein Buch über Jesus. Er bekam es in der Anfangsphase seiner Therapie, als er an den Wochenenden noch in der Klinik bleiben musste und viel Zeit hatte. So begann Ruedi Graf am nächsten Tag zu lesen. «Die Botschaft packte mich, und als ich etwa die Hälfte gelesen hatte, spürte ich auf einmal Gottes Nähe.» Es sei eine faszinierende Erfahrung gewesen und kaum zu beschreiben. «Ich fand diese Liebe, Annahme und Bestätigung nach der ich mich mein ganzes Leben lang gesehnt hatte. Es war ein Nachhausekommen.»

Gleichzeitig wurde Ruedi Graf bewusst, dass seine Schuld ihn von Gott trennte. Er ging auf die Knie, bat Jesus, ihm zu vergeben und lud ihn ein, in sein Leben zu kommen. «Ich hatte eine ganze Menge Schuld auf mich geladen», bekennt der Ex-Alkoholiker. «Doch Jesus kam! Ich war so glücklich wie nie zuvor!» Ruedi erinnert sich noch gut daran, dass er in jener Nacht vor lauter Freude kaum einschlafen konnte.

Widerstand!

Begeistert erzählte er anderen Patienten wie auch den Therapeuten in der Klinik von seiner eindrücklichen Erfahrung. Es ergaben sich interessante Gespräche zum Thema Glauben. Viele der Therapeuten standen dem jedoch kritisch gegenüber, da dies nicht in ihr Konzept passte. Bei der öffentlichen Verabschiedung vor allen Patienten und Therapeuten verkündete schliesslich der Chefarzt: «Sie werden es nicht schaffen! Spätestens in drei Monaten sind Sie wieder zurück.» Er sollte sich täuschen.

Befreit

Ruedi Graf zog nach Biel in eine betreute WG und arbeitete auf einem Bauernhof. «Ich wurde nicht rückfällig, die Liebe Gottes erfüllte mich so sehr, dass ich kein Verlangen nach Alkohol mehr hatte.» 1994 schloss er sich einer christlichen Gemeinschaft an und engagierte sich in einem Verein für Drogenabhängige. «Wir gingen raus auf die Strasse zu den Menschen. Oft konnte ich meine Geschichte erzählen und aufzeigen, dass es bei Jesus keine hoffnungslosen Fälle gibt.»

Einige Jahre später heiratete Ruedi Graf und ist heute Vater von vier Kindern zwischen zwölf und 23 Jahren. Noch immer ist er von Gottes Liebe begeistert. «Wir leben in einer oberflächlichen Gesellschaft, in der wir einander aufgrund unseres Aussehens oder unserer Ausbildung beurteilen», sagt er. «Du zählst dann entweder zu den Gewinnern oder zu den Verlierern. Was für ein Druck! Ich durfte einen Gott kennenlernen, dessen Liebe absolut bedingungslos ist und der auch dann bei mir bleibt, wenn sich jeder Mensch von mir abwendet. Seine Liebe ist unvergleichlich und erstaunt mich immer wieder neu.» 

Menschenhandel

Das Herz von Ruedi Graf schlägt für Menschen in Not. So engagierte er sich mehrere Jahre ehrenamtlich für Asylbewerber – und seit Kurzem im Verein Parparim, einer christlichen Hilfsorganisation, die sich für Menschen in der Prostitution einsetzt. Zunehmend wurde ihm bewusst, welch menschenverachtendes Elend sich hinter der Fassade der legalen Prostitution in der Schweiz verbirgt, und er entschied sich zu handeln. «Ich möchte diese wertvollen Menschen mit der Liebe Gottes erreichen und gleichzeitig andere für dieses Thema sensibilisieren.» Die Ausbeutung dürfe nicht länger hingenommen werden. «Glauben wir tatsächlich, dass Prostitution eine Arbeit wie jede andere ist, die diese jungen Frauen unbeschadet überstehen? Glauben wir tatsächlich, dass eine junge Mutter, die in der Schweiz mit hunderten Männern schlafen musste, bei der Rückkehr in ihr Land ihre Kinder in die Arme schliessen und ein halbwegs normales Leben führen kann?»

Zeit für Menschen

Seit Oktober hat Ruedi Graf in der Stadt Solothurn ein kleines Büro gemietet. Dort arbeitet er für das christliche Onlineportal Livenet und bietet gleichzeitig Menschen in Not kostenlos Hilfe an. «Ich habe zwar kein Psychologiestudium vorzuweisen, aber Lebenserfahrung und viel Hoffnung für Menschen in schwierigen Lebenssituationen.» Ende 2021 feiert Ruedi Graf ein besonderes Jubiläum: 30 Jahre ohne Alkohol.

Dieser Artikel erschien zuerst im Jesus.ch-Print Nr. 54 Solothurn.

Zur Webseite:
Verein Parparim

Zum Buch:
«Welcome Home»

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Datum: 21.12.2021
Autor: Mirjam Fisch-Köhler
Quelle: jesus.ch-Print

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