«Quelle der Heilung liegt im Zwischenmenschlichen»
Ursprünglich hat Silvana Müller (43) Verkäuferin gelernt. Ihre Berufung fand sie später als Mal- und Kunsttherapeutin. «In der Ausbildung reflektierte ich mein eigenes Leben und konnte vieles aufarbeiten», erzählt sie rückblickend. Bei einer Uneinigkeit hätten ihre Eltern wochenlang nicht mehr miteinander geredet. Das belastete sie als Kind. Mit 16 Jahren verliess Silvana ihr Zuhause, bald darauf liessen die Eltern sich scheiden.
Während ihres Praktikums auf einem Pferdehof fand sie als Jugendliche zu einem persönlichen Glauben an Jesus Christus. Später arbeitete sie mit Herzblut als Jugendarbeiterin bei der Stiftung Jugendsozialwerk in Liestal. Jung und unerfahren wie sie war, achtete sie jedoch zu wenig auf den eigenen Kräftehaushalt. Sie erlitt ein Burn-out.
Krankheit, nicht Schuld
Heute ist Silvana verheiratet, Mutter eines Sohnes und hat die Ausbildung zur prozessorientierten Kunsttherapeutin APK in Thalwil absolviert. Dabei lernte sie verschiedene Werkzeuge kennen, mit denen man inneren Verletzungen begegnen kann. «Der Körper reagiert auf das, was die Seele bewegt», sagt Silvana Müller. Wichtig ist ihr, dass psychisches Leiden als Krankheit wahrgenommen wird und nicht vorschnell als selbst verschuldet oder geistliches Problem gilt. Manchmal kommen Menschen zu ihr, denen im Hauskreis oder vom Pastor gesagt wurde, sie müssten mehr glauben oder beten, dann ginge es ihnen wieder gut. «Ja, es gibt Wunder. Gott kann vollständig heilen, aber das ist die Ausnahme», sagt die Therapeutin. Oft blieben die Lebensthemen zwar bestehen, man könne aber Linderung erfahren. Je nach Schweregrad sei Seelsorge, Mal- und Kunst- oder Psychotherapie dabei hilfreich. Und manchmal machten erst Medikamente möglich, dass der Kranke hinsehen und aktiv werden könne. Silvana Müller: «Das Zwischenmenschliche wirkt dabei am stärksten – da liegt die Quelle der Heilung.»
Verschiedene Werkzeuge
Sieben Jahre lang arbeitete sie als Kunsttherapeutin für die Quellenhof-Stiftung in Winterthur. Sie begegnete vielen psychisch kranken Menschen und begleitete sie ein Stück auf ihrem Lebensweg. Silvana hört genau hin, wenn der Klient von seiner Not erzählt, und wählt dann die geeignete Methode. Mit einer sehr unruhigen Person kann das ein Spaziergang sein, auf dem sie miteinander reden. Jemand anderem bietet sie Ton oder Gips an, um mit den Händen zu arbeiten. Oder ein Stück Papier und Farbstifte oder Acrylfarben. Es geht nicht darum, ein Kunstwerk zu erschaffen, sondern die Gefühle auszudrücken. Bleibt das Blatt leer, reden sie darüber, was das bedeuten kann. Fühlt sich der Patient leer? Was auf den ersten Blick negativ aussieht, muss nicht so bleiben. Etwas Leeres kann man mit Neuem füllen. Und entscheiden, womit das geschieht. «Wenn ein Ratsuchender ein Stück an neuer Lebensqualität erlangt, macht mich das froh», sagt die Kunsttherapeutin.
Neu im Café SAM von Ancora-Meilestei
Neu engagiert sich Silvana Müller für die Stiftung Ancora-Meilestei in Wetzikon ZH als Leiterin des Café SAM. Zusätzlich bietet sie dort Mal- und Kunsttherapie für interne und externe Ratsuchende an. Ihr Atelier hat sie bereits gezügelt, eröffnen wird sie es aber erst im neuen Jahr. Dazwischen macht sie einige Wochen Ferien. Sie hat gelernt, dass Körper und Seele auch mal Pause brauchen.Dieser Artikel erschien zuerst im Magazin von IDEA Schweiz.
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Datum: 10.01.2022
Autor: Mirjam Fisch-Köhler
Quelle: IDEA Schweiz