Ein Ort der Geborgenheit und Fürsorge
Anne Speiser (60) wuchs mit fünf Geschwistern auf einem Bauernhof im Elsass auf. Drei Generationen lebten damals unter einem Dach. «Die Werte, die mir als Kind vermittelt wurden, begleiten mich heute noch.» Den Glauben an den Schöpfer und den Respekt vor dem Leben erwähnt Anne speziell. Ihre Hochzeit mit Stephan führte sie in die Schweiz, seit 1985 leben die beiden in Zweisimmen. Sie haben drei erwachsene Kinder und zwei Enkelinnen. Dass Anne und Stephan heute das Zweifamilienhaus mit Tochter, Schwiegersohn und einer Enkelin teilen, passt zu ihrem Lebenslauf.
Respekt vor dem Leben
«Meine Grosseltern und Eltern haben die Kriegsjahre hautnah erlebt», erzählt Anne. Werte wie Menschenwürde und der christliche Glaube seien in ihrer Herkunftsfamilie immer ein Thema gewesen. Bis zur Geburt ihres ersten Kindes arbeitete die gelernte Biologielaborantin in Labors verschiedener Krankenhäuser.
«Nach der Familiengründung entschied ich mich, ganz für unsere Kinder da zu sein», sagt Anne und ergänzt: «Ich übernahm den Familienbetrieb aus freiem Entscheid.» Heute würde sie sich wieder so entscheiden. Für ihre Kinder da sein und sorgen zu können, sei von grosser Bedeutung. «Das ist nicht nur ‹old-fashion›, sondern auch ‹good-fashion›!»
Die Geburt – zentraler Moment des Lebens
Wie viele andere Mütter erinnert sich auch Anne noch genau an die Geburten ihrer Kinder. «Nach der Entbindung meiner ersten Tochter, hatte ich Zweifel, ob ich nochmals ein Kind zur Welt bringen würde…» Der Geburtsprozess habe sehr lange gedauert und sei von Komplikationen begleitet gewesen. Zudem habe es einen längeren Geburtsstillsand gegeben. Damalige Nierenprobleme hätten die Sache nicht vereinfacht. Anne macht klar: «In diesen 24 Stunden traten mehrmals kritische Situationen auf. Ich war dankbar und erleichtert, als alles überstanden war.»
Die zweite Geburt hingegen sei rasant verlaufen. Anne erinnert sich: «Viel mehr Zeit hätte ich nicht mehr im Auto verbringen können.» Bei der dritten Geburt habe sie eine sehr junge Hebamme begleitet. «Von der Betreuung her war dies meine persönlichste Geburt. Es entstand rasch eine grosse Vertrautheit unter uns Frauen, das war für mich ein wunderbares Erlebnis. Alles verlief frei von Hektik, ich war sehr entspannt.» Unvergessen bleibt Anne auch die Unterbringung: «Weil alle Spitalzimmer besetzt waren, bekam ich ein Einzelzimmer. Das ermöglichte eine familiäre Atmosphäre.» Einen «Ort der Geborgenheit und Fürsorge» wünscht sie heute allen Frauen, denen eine Geburt bevorsteht.
In die Politik hineingerutscht
Parallel zum Familienleben hatte Anne Kapazität, um sich ehrenamtlich zu engagieren. 1993 begann sie ihre politische Tätigkeit in der Schulkommission. «Natürlich übernahm ich das Amt auch im eigenen Interesse, wegen meiner Kinder», sagt sie. Doch ihr Engagement entwickelte sich weiter. 1998 bis 2005 amtete sie als Gemeinderätin, von 2006 bis 2013 als Gemeindepräsidentin. Seit 2014 ist Anne Speiser Grossrätin.
Anfänglich habe sie keinerlei politischen Ambitionen verfolgt, doch dann dann habe sich eins ans andere gefügt. «Meine Einstellungen bezüglich Wert von menschlichem Leben und mein Respekt gegenüber dem Schöpfer waren nie ein Geheimnis», erzählt Anne. Durch ihre Haltung Themen wie der Fristenregelung gegenüber sei sie auch auf Widerstand gestossen. «Die Forschung kann heute vieles. Doch das Leben an sich kann man nicht einfach erschaffen. Da reichen zwei Reagenzgläser nicht. Das bleibt in der Hand des Schöpfers.»
Zweisimmen braucht ein Geburtshaus!
Als die Geburtsabteilung im Spital Zweisimmen geschlossen wurde, war dies für Anne Startschuss eines weiteren Engage-ments. Ohne Frage brauchte es im Simmental einen Ort zum Gebären, ein Geburtshaus. «Im Gesundheitswesen wird nur noch über Rendite gesprochen», bedauert Anne. Alles muss sich rentieren. Aus diesem Grund war auch die Geburtsabteilung in Zweisimmen geschlossen worden. «Damit wurden in unserer Region alle Familien und Paare, die noch Kinder wollten, links liegen gelassen.» Auch Frauen aus den abgelegensten Orten des Saanenlands mussten zum Gebären nach Thun fahren – je nach Jahreszeit bei verschneiten Strassen. Dies konnte Fahrzeiten von bis zu anderthalb Stunden bedeuten. So wurde Anne Mitgründerin der Genossenschaft Maternité Alpine, die das Geburtshaus betreibt. Als Präsidentin investiert sie sich mit viel Herzblut für diese Arbeit.
«Wenn wir gewusst hätten…»
Anne weiss zu erzählen, was passieren kann, wenn Frauen nicht rechtzeitig zum Gebären im Krankenhaus eintreffen. «Es ist wichtig, ein Geburtshaus und Hebammen in der Region zu haben!», sagt sie mit Nachdruck. Sie freue sich sehr, dass mit dem Geburtshaus in Zweisimmen ein Ort der Geborgenheit und Fürsorge geschaffen werden konnte. Der Anfang sei jedoch alles andere als einfach gewesen. «Zum Glück wussten wir nicht, was alles auf uns zukommen würde. Ich weiss nicht, ob wir den Mut zum Anfangen gehabt hätten.»
Es gab viele Hürden zu überwinden. Beispielsweise mussten zahlreiche Kooperationsverträge mit verschiedenen Partnern (Rega, Ambulanz, Spital Thun, Spital Frutigen, Inselspital und andere) abgeschlossen werden. «Doch es hat sich alles gelohnt!», bekräftigt Anne. Eltern, die nun die Möglichkeit hätten, die Geburt ihres Kindes in der familiären Atmosphäre des Geburtshauses zu erleben, würden Anne immer wieder grosse Dankbarkeit aussprechen. Das sei für sie Motivation genug, das ehrenamtliche Engagement fortzuführen. «Nebst den Hebammen und Hauswirtschafterinnen leistet das gesamte Team der Verwaltung, inklusive Beirat, enorme Arbeit. Wir sind ein eingespieltes Team und ich bin stolz darauf, mit so mutigen und engagierten Menschen unterwegs zu sein. Es fägt!»
Ein Ort der Geborgenheit und Fürsorge
Vor fünf Jahren nahm das Geburtshaus seinen Betrieb auf. Auch prä- und postnatal werden schwangere Frauen und Mütter hier betreut und versorgt. Mit dem Engagement für die Maternité Alpine habe sich Anne ganz neu für das Leben entschieden. «Jedes Kind ist ein Wunder des Schöpfers – einzigartig, kostbar und wichtig.» Da der Betrieb der Maternité Alpine nicht kostendeckend ist, brauche es zusätzliche Finanzen. «Die Gemeinden aus dem Simmental Saanenland haben uns finanziell unterstützt, dennoch sind wir auf Spenden angewiesen», sagt Anne. Es sei Knochenarbeit, jährlich 100’000 Franken zusammenzubringen. Bislang habe es aber geklappt. Es ist wertvoll und schön, das Licht der Welt an einem Ort der Geborgenheit und Fürsorge erblicken zu können. Doch auch später brauchen Menschen einen solchen Ort im Leben: «Für mich ist der Glaube ein Ort der Geborgenheit und der Fürsorge», bekennt Anne dankbar. Welche Stürme in ihrem Leben auch aufkommen mögen: Im Gebet finde sie Ruhe.
Sich nach dem Schöpfer auszurichten, bringe vieles ins Gleichgewicht. «Ich habe nicht den Anspruch, dass ich alles weiss. Mein Glaube ist wie ein Anker, der mir Halt und Sicherheit gibt.» In diesem Zusammenhang sei ihr eine Zusage aus der Bibel wichtig geworden: «Fürchte dich nicht, denn ich bin bei dir; hab keine Angst, denn ich bin dein Gott!» (Jesaja, Kapitel 41, Vers 10).
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Autor: Markus Richner-Mai
Quelle: Livenet