Süchtig nach virtueller Liebe
Love
Is More erzählt er ausführlich, wie es dazu kam und wie er sich letztlich
davon befreien konnte.Love Is More: Tinu, du sagst von dir, dass du süchtig
nach virtueller Liebe warst. Was muss ich mir darunter vorstellen und wie fing
das überhaupt an?
Tinu: Viele werden sich jetzt natürlich
fragen: Süchtig nach Liebe? Wie kann man von etwas so Schönem denn süchtig
werden? Nun ja, es war vielmehr eine billige Kopie, etwas das sich für «Liebe»
ausgibt. Ich spreche hier von Pornografie. Bei mir ging es darum, eine Leere,
die ich im Herzen hatte und die mich traurig machte, zu betäuben. Pornografie
gaukelt dir vor, dass du geliebt bist, also Annahme findest. Die Menschen,
Darstellerinnen und Darsteller in den Videos, lächeln in die Kamera, sie flirten
und signalisieren: «Du bist gewollt, fühl dich willkommen bei uns. Bleib ein
bisschen hier, um zu entspannen und die Zeit zu geniessen.» Mich zog das damals
unwahrscheinlich an. Darin hatte ich das «ideale» Mittel gefunden, um Frust,
Langeweile, Trauer und Leere zu kompensieren. Immer dann, wenn ich mich
ungeliebt fühlte, ging ich ins Internet.
Aus der regelmässigen Gewohnheit entstand eine Sucht. Ich hatte meinen Erstkontakt mit Pornografie mit 13 Jahren, das waren damals Romane mit sexuellem Inhalt, die mich so faszinierten. Später, als das Internet aufkam, waren es erste Bilder, die ich mir immer häufiger ansah. Dann kam irgendwann das Breitband-Internet auf und damit für mich die Möglichkeit, Videos zu laden und konsumieren. Ich erinnere mich an meine Schulzeit, als ich mich aufs Abitur vorbereitete. Ich hatte Stress und war angespannt. So wählte ich die virtuelle Liebe am Laptop und sah mir Videos an, um für eine Weile die Anspannung hinter mir zu lassen und zu vergessen. In dieser Zeit konsumierte ich durchschnittlich etwa neun bis zwölf Stunden Pornografie pro Woche. Ich hatte quasi keine Hobbies mehr, machte keinen Sport, zog mich aus sozialen Bindungen zurück und isolierte mich zunehmend, um meine private «intime» Zeit vor dem Bildschirm zu verbringen. Es war der Horror.
Wie und wo fandst du Heilung
von deiner Pornografieabhängigkeit?
Nachdem ich alle möglichen und
auch unmöglichen Methoden versucht hatte, gab ich irgendwann auf. Je mehr ich gegen
meine Sucht ankämpfte, desto enger zog sich die Schlinge um meinen Hals. Ich
schaffte es maximal zwei Wochen ohne Pornos. Die Sucht forderte ihren Tribut.
Ich hatte zu dieser Zeit bereits vollständig mit einem pornofreien Leben
abgeschlossen. So fand ich mich mehr und mehr mit meiner Situation ab. Ich
versuchte schlussendlich nur noch den Schaden an meinem Herzen möglichst gering zu halten.
Ich konnte so nicht mehr so weiterleben. Eines Tages packte ich also vor Gott aus und sprach ganz ehrlich mit ihm: «Herr, ich bin zutiefst süchtig und komme da nicht mehr raus. Ich kann nicht mehr aufhören mit Pornografie. Jesus, bitte hilf mir!» Gott nimmt Gebet ernst. Und so kümmerte er sich um mich: als ich das nächste Mal wieder auf der Seite mit den pornografischen Inhalten war, ploppte ein kleines Fenster mit Werbung auf, darauf stand im Wortlaut: «Pornografie macht dich dumm! Finde jetzt den Ausstieg!» Keine Ahnung, wie das Pop-up dort hingekommen war. Da ich nichts zu verlieren hatte, klickte ich darauf und wurde zu einer Website mit einem säkularen Ausstiegsprogramm verlinkt. Danach fand ich auch christliche Angebote wie auch Selbsthilfegruppen, wo ich dann Schritt für Schritt den Ausstieg schaffte.
Gibt es Prinzipien, die
wichtig sind, damit man geheilt wird und welche Schritte sind notwendig?
Es ist wichtig, dass du mit dem
Thema Pornografie nicht für dich bleibst. Denn Sünde gedeiht am besten im
Dunklen, im Verborgenen.
Ein weiteres wichtiges Prinzip ist die Rechenschaft. Hierbei verabredet man sich mit einer Person oder Gruppe zu verbindlichen Treffen. Ausserdem sei an dieser Stelle unbedingt eine Schutzsoftware für PC/Mac und Handy empfohlen. Es ist kein Zeichen von Schwäche, einen solchen Schutz zu installieren, sondern vielmehr eine weise Entscheidung, wenn man wirklich frei werden möchte. Jesus spricht klar von einer radikalen Trennung all der Dinge, die zum Fallstrick werden können (Matthäus, Kapitel 18, Vers 8f.).
Schlussendlich sind all diese Dinge lediglich eine Behandlung der Symptome. Die Ursache des Pornokonsums liegt dabei sehr viel tiefer. Oft sind es persönliche Verletzungen, ein inneres Defizit an Liebe oder tiefe Unsicherheit über den eigenen Selbstwert, die zu einer Sucht führen.
Wie würdest du Pornografie
beschreiben?
Pornografie ist die Suche des
Menschen nach Liebe. Als ich im Konsum gefangen war, suchte ich weniger das
sexuelle Vergnügen, als vielmehr eine tiefe Liebe und ich wünschte mir, dass
ich, so wie ich bin, angenommen würde. Ich glaube, dass jeder Mann, jede Frau,
die Pornografie konsumiert oder andere Formen der sexuellen Unreinheit
praktiziert, eigentlich auf der Suche nach ganzheitlicher Liebe ist. Eine
Sehnsucht nach reiner Liebe, wie sie die Welt nicht zu stillen vermag.
Warum, denkst du, ist
Pornografie immer noch ein Tabuthema? Warum spricht man nicht darüber und holt
sich keine Hilfe?
Ich denke, das Thema Pornografie
ist stark mit Angst verbunden. Das beginnt bereits im privaten Umfeld: Was
denken meine Kollegen, Freunde von mir, wenn ich zugebe, dass ich ein Problem
mit Pornografie habe? Die Befürchtung vor Gesichtsverlust, die
hiermit einhergeht, ist eine Artikulation des menschlichen Stolzes. Gerade unter
Männern ist die Meinung vertreten, dass ein Mann immer stark sein muss und
seiner eigenen Probleme Herr sei. Das dachte ich auch lange und blieb damit in
der Isolation.
Wo siehst du gerade heute konkreten Handlungsbedarf zur Prävention?
Ich glaube, dass es heute wichtiger denn je ist, über
die menschliche Sexualität zu sprechen. Wir sollten vor allem in den Gemeinden
diese Chance nutzen und bewusst die gottgegebene Sexualität als zutiefst
positives Element in der Ehe proklamieren.
Ausserdem sollten wir die sexuelle Aufklärung unserer Kinder nicht dem Zufall überlassen oder gar warten, bis sie den ersten Pornofilm sehen. Eltern können heute gute kindgerechte Literatur heranziehen, wie z.B. die beiden Bücher von Regula Lehmann, die ich empfehlen möchte: «Wir Powergirls» und «Rakete starklar!», im Fontis Verlag.
Wenn Sie ähnliche Probleme wie Tinu Riezler haben, können Sie auf der Webseite www.porno-frei.ch qualifizierte Seelsorger und Therapeuten finden oder in der E-Mail-Beratung über ihr Problem sprechen.
Zum Thema:
Den kennenlernen, der Tinu frei gemacht hat von der Sucht
Just do it: Sexualerziehung: Kinder wirksam vor Pornografie schützen
Endlich frei!: Wenn Pornografie zur Sucht wird
Datum: 31.08.2019
Autor: Barbara Laubscher
Quelle: Love Is More