tress oder Druck aushalten und vermeiden, das hat mit Lebenskompetenz zu tun. Wir fragten den ehemaligen Leiter einer christlichen Organisation und heutigen Coach, Dr. Rolf Lindenmann, nach seinem Geheimnis.
Rolf Lindenmann, Sie wirken eigentlich nie gestresst. Wirken Sie nur so?
Rolf Lindenmann: Ich behaupte nicht, ich sei nie gestresst. Aber ich bin es selten. Dabei hilft mir mein Temperament. Ich bin eher ruhigeren Blutes. Es hat aber auch mit meiner Lebensweise zu tun. Ich habe gelernt, immer vorauszuschauen. Mögliche Engpässe überbrücke ich, indem ich plane und die Arbeit schon früh beginne. Ich bereite zum Beispiel meine Steuererklärung lange vor dem Abgabetermin vor. Viele fürchten, mit Planen ihre Freiheit preiszugeben. Planen aber bedeutet für mich mehr Freiheit: Ich kann eine Arbeit tun, wann ich will, und nicht dann, wann ich muss.
Machen Sie ein Tagesprogramm?
Nein. Ich habe vieles verinnerlicht. Ich frage: Was ist jetzt dran? Ist jetzt der Kairos (der aus Gottes Sicht optimale Zeitpunkt) ? Ich versuche, vom Grundsätzlichen her auszugehen. Bei grösseren Arbeiten mache ich immer zuerst das Inhaltsverzeichnis und beginne dann zu sammeln.
Studierenden, die zum Beispiel eine Diplomarbeit schreiben, rate ich, zuerst nach der Hauptsache zu fragen. Nebensächliches kann man immer noch einflechten. Heute ist eine solche Einschränkung das A+O. Nicht als Lebensziel, sondern weil wir Menschen beschränkt sind. Wählen heisst auch verzichten. Das tun viele nicht gerne.
Viele sagen, dass sie Druck und gar Stress brauchen, um gute Leistungen zu bringen?
Wer dazu äusseren Druck braucht, gerät leicht in eine Abhängigkeit. Ich mache mir den Druck lieber selbst, indem ich mir Termine setze, die noch nicht zwingend sind und früh Entscheidungen treffe. So habe ich mehr Gestaltungsfreiheit. Termine, die noch nicht zwingend sind, kann ich auch verschieben, wenn Unvorhergesehenes eintritt. Viele brauchen einen gewissen Druck, um aktiv zu werden, aber er darf nicht zu gross werden.
Noch etwas zu unserem Temperament: Wir neigen dazu, unsere Eigenart zu übertreiben. Die Ruhigblütigen werden leicht passiv und reaktiv. Sie können wohl etwas aussitzen, sitzen aber zuviel aus. Wer dagegen aktiv ist, läuft Gefahr, überaktiv zu werden. Er muss das richtige Mass in seinem Machertum und den Ausgleich suchen. Zum Beispiel, indem er lernt zuzuhören; oder die Natur zu beobachten. Wer dagegen reaktiv veranlagt ist, muss lernen, aktiv neue Schritte zu tun und Projekte anzugehen.
Sie sprachen schon von «positivem Stress». Was verstehen Sie darunter?
Der Begriff ist nicht von mir, aber ich verstehe darunter eine wohltuende Spannung, die auch etwas bewegt. Negativer Stress blockiert und zehrt an den Kräften. Es gibt aber auch eine innere Hochspannung, bevor man etwas Grosses bewegt. Der Körper ist dann in einem Sonderzustand: Alles ist wach, auch die Chemie spielt mit, damit etwas bewegt werden kann.
Zum Beispiel als gestresster Lehrer?
Sobald ich einer Tätigkeit ein positives Ziel geben kann, wird der Stress positiver. Wenn ich nur Stress vermeiden will, verkrampfe ich mich. Lehrkräfte geraten leicht in einen Rechtfertigungsdruck, wenn sie in Frage gestellt werden. Gerade in der Schule erleiden die Beteiligten - Lehrpersonen, Behörden, Eltern - Stress aus unterschiedlichen Motiven. Lehrer wollen keine Fehler machen.
Behörden neigen dazu, unzufriedene Eltern zu unterstützen. Wer aber nach Recht und Unrecht fragt, ist schon im Kampf. Es gilt, die Verteidigungsposition zu verlassen, sich in die Haut der Andern zu versetzen und eine Win-Win-Situation zu erreichen. Diese Haltung befreit. Es ist ein christliches Geheimnis, darauf zu achten, dass alle gewinnen.
Hat Stressfreiheit etwas mit meinem Willen zu tun?
Wenn uns Erwartungen an uns selbst stressen, müssen wir klären, welche Erwartungen wirklich an uns gestellt werden. Wer hohe Erwartungen an sich selbst hat, lässt sich leicht unter Druck setzen. Unklare Verhältnisse können stressen. Klarheit schaffen vermeidet dagegen unnötigen Stress.
Wie entstressen Sie sich?
Indem ich mich in meinen bequemen Stuhl, Marke Stressless, setze, hinaus schaue und dabei manchmal mit Gott rede...
Dr. Rolf Lindenmann leitete von 1983 – 1996 die Vereinigten Bibelgruppen VBG. Er ist selbständiger Coach und Berater für Einzelpersonen und Gremien.
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INSIST
Datum: 24.09.2011
Quelle: Magazin INSIST