4 Tipps für ein Leben ohne Zeitnot
Wer möchte nicht «endlich Zeit fürs Wesentliche» finden? Das konsequent immer zu schaffen, bleibt sicher Illusion. Aber einige einfache Schritte helfen tatsächlich weiter. Sie ermöglichen es mir, nicht nur Ziele zu erreichen, sondern tatsächlich das Leben eher zu geniessen.
Aktionen streichen
Hand aufs Herz. Wie sahen Ihre guten Vorsätze aus? Mehr Sport? Mehr Zeit für die Familie? Mehr… Wie komme ich eigentlich auf den Gedanken, dass ich immer mehr in mein Leben hineinpacken müsste, um Entspannung oder Entschleunigung zu erreichen? Dass Mehr wirklich zu Weniger führt? Oder dass Mehr tatsächlich einen Mehrwert bringt?
Ich bin ein optimistischer Mensch. Deshalb habe ich Ziele jahrelang so gesetzt, dass ich noch weitere zu meinen bisherigen dazugenommen habe. Das kam nicht nur bei der Arbeit gut an, sondern auch im geistlichen Bereich. Oder singen wir da etwa nicht «Immer mehr von dir, immer mehr…»? Ich habe – Gott sei Dank! – kein Burn-out erlebt, aber ich habe mein Verhalten längst umgestellt. Irgendwann habe ich für mich beschlossen, dass ich ein neues Ziel nur angehe, wenn ich ein anderes dafür streiche.
Was Menschen wie mir wahnsinnig schwerfällt, ist für andere sicher das Normalste der Welt. Das bedeutet doch, zielorientiert und fokussiert zu sein: eine Sache in den Mittelpunkt und andere deswegen an den Rand stellen. Eine Aktion planen und deswegen andere bleiben zu lassen. Wenn ich an etwas Neues in meinem Leben denke, dann streiche ich tatsächlich erst etwas anderes.
Highlights feiern
Noch amüsieren sich die meisten von uns darüber, dass manche Japaner in ihrem kurzen Urlaub mal eben «Europa in sieben Tagen machen». So extrem ist das bei mir nicht. Doch gleichzeitig sammle auch ich schöne Erlebnisse – je mehr, desto besser. Erstaunlicherweise funktioniert das nicht. Viele schöne Erlebnisse direkt nacheinander verschmelzen eben nicht zu einem wunderbaren Leben, sondern erzeugen Langeweile, verschwimmen zu einem Erlebnisbrei, aus dem sich kein besonderes Highlight mehr erhebt. Typisches Beispiel ist es, wenn ich meine Urlaubsfotos anschaue und bereits keine Ahnung mehr habe, auf welcher Burg, in welcher Stadt, neben welchen Menschen ich da eigentlich gestanden habe.
Klasse statt Masse scheint auch hier eine gute Einstellung zu sein. Denn wenn meine erlebten Sensationen sich so schnell ablösen, dann sind es keine Highlights mehr, sondern mein neuer Alltag, der mich durch sein Tempo auch noch atemlos zurücklässt. Stattdessen kann ich Highlights im Alltag, im Urlaub, bei der Arbeit oder in der Familie feiern. Ich nehme mir Zeit dafür und plane nicht direkt die nächste Aktion. Ich denke darüber nach und erzähle anderen davon. Dieses «Wiederkäuen» hilft beim Verdauen. So wird ein Erlebnis mein Erlebnis.
Dinge «zähmen»
Der Fuchs in der klassischen Erzählung «Der kleine Prinz» fordert diesen darin auf, ihn zu zähmen. Zeit mit ihm zu verbringen, um ihn sich vertraut zu machen. Dieser Vorgang funktioniert übrigens nicht nur mit Lebewesen, sondern auch mit Orten und Dingen. Was Antoine de Saint-Exupéry in märchenhafte Sprache fasste, drückt der deutsche Soziologe Hartmut Rosa nur anders aus. Er nennt die Nicht-Beziehung von Menschen zu ihrer Umwelt «Entfremdung», die dazu führt, dass sie sich eine neue Umgebung gar nicht mehr «anverwandeln». Der Raum, den sie durchfahren oder in dem sie leben, ist nicht mehr so wichtig, denn er ist auswechselbar.
Ich kann diese Gedanken gut nachvollziehen. Inzwischen wohne ich zwanzig Jahre in der gleichen kleinen Ortschaft. Ich brauche nur auf die Strasse zu gehen und treffe Menschen, die ich kenne. Das war nicht immer so. Vorher bin ich mehr als 20-mal umgezogen in meinem Leben. War auf zwei Grundschulen und drei Gymnasien. Meine Klasse? Die gibt es schlichtweg nicht. Und ich musste wirklich lernen, langfristig in Menschen zu investieren. Beziehungen brauchen Zeit. Und tiefe Beziehungen brauchen sehr viel davon. Besonders an diesem Punkt wird deutlich, dass mein Wunsch, aus der Zeitnot herauszufinden, ganz klar bedeutet, an anderer Stelle mehr Zeit zu investieren.
Die Quelle suchen
Mein neuer Computer soll viel schneller sein als der alte. Das Handy viel leistungsfähiger. Und über Facebook erreicht mein Neujahrsgruss 841 Freunde auf einmal. Ich widerstehe der Versuchung, jetzt der Technik die Schuld an Einsamkeit auf der einen und überhöhter Lebensgeschwindigkeit auf der anderen Seite zu geben. Sie kann nichts dafür. Sie ist nur ein Mittel (Medium), das ich in meine Gewohnheiten und Wünsche hineinzwinge. Jedenfalls, wenn ich allen Ernstes erwarte, dass mir ein Kasten voll Elektronik Zeit schenkt. Oder Lebensqualität. Wie sollte er das können? Er kann mir nichts geben, was er selbst nicht hat. Und dass ich trotzdem immer wieder an solchen falschen Adressen nach Leben suche, hängt eher damit zusammen, dass ich die Quelle mit ihren zahllosen Ausflüssen verwechsle.
Ja, ich rede von Gott! Und die oben beschriebene Verwechslungsgefahr ist schon viel älter als die sozialen Medien, Computer oder das Fernsehen. Bereits im Alten Testament klagt Gott darüber: «Denn mein Volk hat eine zweifache Sünde begangen: Mich, die Quelle des lebendigen Wassers, haben sie verlassen, um sich Zisternen zu graben, löchrige Zisternen, die kein Wasser halten!» (Buch des Propheten Jeremia, Kapitel 2, Vers 13). Anders übersetzt: Ich will mich nicht länger mit billigen Ersatzlösungen zufriedengeben. Die kosten zu viel. Sie kosten zu viel Zeit und bringen zu wenig Leben.
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Datum: 07.01.2020
Autor: Hauke Burgarth
Quelle: Livenet