«Das Christliche hat an Bedeutungshoheit gewonnen»
damals Ihr Anliegen?
René Häsler: Paul
Mori, Hansueli Birenstihl und ich kamen mit dem Wunsch, dass in Zukunft
genügend christliche Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen ausgebildet werden,
damit der Bedarf unserer Institutionen gedeckt werden kann. Das icp hatte bis
dahin vor allem Sozialtherapeuten ausgebildet. Unsere Erfahrung mit ihnen war,
dass sie – zugespitzt gesagt – zu viel redeten und zu wenig handelten.
18 Jahre später ist aus dieser Schule eine
anerkannte Höhere Fachschule mit heute 85 Studierenden entstanden. Was freut Sie
besonders, wenn Sie auf diesen langen Weg zurückblicken?
Besonders
freut mich, dass wir in dieser ganzen Zeit, als unsere Absolventen noch nicht
offiziell anerkannt waren, durchhielten und zielstrebig die Voraussetzungen für
die Anerkennung schufen. Stolz macht mich, dass wir diese Phase ohne staatliche
Finanzierung überbrücken konnten und dabei viel Zuspruch erhielten. Es war eine
grosse Leistung der Verantwortlichen rund um Roland Mahler, Werner May und Marc
Peterhans, dass wir schliesslich die Anerkennung erlangten.
Was war Ihnen als Dozent wichtig, den
Studierenden weiterzugeben?
Besonders
wichtig war mir, dass wir unter den Dozenten nicht nur Theoretiker ohne
Praxisbezug haben, sondern auch Praktiker. Da das icp stark mit Ignis
zusammenarbeitete, bestand anfänglich ein Übergewicht an deutschen Dozenten.
Ich setzte mich für einen höheren Anteil an Dozentinnen und Dozenten aus der
Schweiz ein. Mir war persönlich auch wichtig, dass ich mit meinen Modulen die
Studierenden für Kriseninterventionen fit machen konnte. Sie sollten im Voraus,
also präventiv wirken und Krisen wo möglich verhindern. Wenn es eine Krise
gibt, soll sie nicht weggezaubert werden, sondern professionell begleitet
werden. Wichtig ist aber auch, dass bei Krisen sofort eine Entlastung
stattfindet. Es darf sogar eine Würdigung der Krise geben.
Was hat sich aus Ihrer Sicht in der
sozialpädagogischen Landschaft seit den Anfängen des icp am meisten verändert?
Überall
wird heute gespart. Stationäre Settings sind teuer, sodass man dafür
Alternativen sucht. Das neue Zauberwort heisst «Sozialraumorientierung». Statt
ein Kind in ein Heim in einem anderen Kanton zu stecken, soll es, wo immer
möglich, in der Familie bleiben und ein ambulantes Setting erhalten, zum
Beispiel eine Familienbegleitung durch «Nannys». Man wartet immer länger, bis
man ein Kind in einer Institution platziert. Es gibt seitdem eine «neue
Industrie» im ambulanten Bereich, zum Beispiel zahlreiche Angebote in der
Familienbegleitung.
Wie hat sich dieses Konzept bewährt?
Zurzeit
wird die Frage geprüft, wie man der dadurch entstandenen Kostenexplosion
begegnen soll. Auch der Erfahrung, dass Jugendliche oft erst dann in eine
Institution eingewiesen werden, wenn ihr Verhalten sogar die meisten Heime
überfordert. Eine Bumerang-Situation. Viele Heime sind seither geschlossen
worden, weil sie nicht mehr finanziert werden konnten. Auch wir haben eine
Station abgebaut, nachdem die Zahl eingewiesener Schüler rückläufig war. Wir
stehen vor einer Wellenbewegung. Früher oder später werden die stationären
Settings wieder wichtiger sein. Trends kommen und gehen.
Nun haben Sie die Leitung der
Programmkommission an der hfs abgegeben, ebenso die Leitung des Internats an Ihre
Söhne. Wofür nutzen Sie die frei werdende Zeit?
Ich
kann mir allmählich ein «fading» erlauben und etwas in den Hintergrund treten. Ich
werde dem hfs auch bei strategischen Entscheiden zur Verfügung stehen, aber
nicht mehr operativ tätig sein. Das gilt auch für das Internat in Gsteigwiler,
wo meine Söhne inzwischen in der Lage sind, auch wichtige Entscheidungen zu
fällen, wenn es zu Krisensituationen kommt wie letzthin, als sich ein Mädchen
selbst verletzte. Ich leite ausserdem noch Firmen wie
ein Carosseriewerk, die BeO Pellets GmbH und die Top Camp AG.
Wie sehen Sie die Zukunft der christlichen
Privatschulen?
Sie
haben auf jeden Fall eine Zukunftsperspektive. Ich zitiere dazu meinen Vater,
der öfter sagte: «Als Christ sollst du ein weites Herz auf engem Pfade haben.»
Also nicht ein weites Herz auf weitem Pfade und nicht ein enges Herz auf engem
Pfade. Das heisst, dass du durch den Glauben Eckpunkte gesetzt hast, aber auch
grosse Toleranz üben kannst. Christliche Schulen, die sich eng positionieren,
dürften Mühe haben. Wir erleben allerdings, dass allein durch den Begriff «Christliches Internat» viele Anfragen auf uns zukommen. Interessanterweise
haben wir ständig auch etwa 12 Prozent Muslime bei uns. Nicht aus fundamentalistischen
Familien, aber von Familien, die empfinden, dass wir ihnen mit unseren
ethischen Werten nahestehen. Sie wissen, dass bei uns die Sozialpädagogen nicht
zusammen mit den Schülern kiffen. Es gibt Verbindendes zwischen unseren
Religionen, zum Beispiel die Zehn Gebote. In der sozialpädagogigschen Landschaft
wurden auch Gesundheitsfragen und Spiritualität wichtiger. Das Christliche hat
an Bedeutungshoheit gewonnen.
Das vollständige Interview mit René E. Häsler erscheint in der Zeitschrift «Ausblick» der Höheren Fachschule für Sozialpädagogik hfs des icp.
René E. Häsler (59) gründete mit 27 Jahren die Privatschule Christliches Internat Gsteigwiler (CIG) mit drei Schülern. Heute hat das CIG verschiedene Stationen mit ca. 70 Schülerinnen und Schülern. Später studierte er an der Universität Bern Pädagogik, Psychologie und Psychopathologie. Seit 2001 war er Dozent am icp sowie Mitglied und elf Jahre Präsident der Schulkommission. Seit 2000 ist er Vorstandsmitglied und Präsident der Qualitätskommission des Verbandes Schweizerischer Privatschulen.
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Datum: 10.12.2018
Autor: Fritz Imhof
Quelle: Livenet / icp Ausblick