Lochers «sieben fromme Sprüche für Unternehmer»
Auf der Teilnehmerliste wimmelte es von Vertretern von UBS, Swisscom und ähnlichen Firmen, dazu waren ein Alt-Bundesrat, National-, Stände- und viele andere Räte zugegen. Und mitten drin Gottfried Locher, der «Kirchenmann» und «reformierte Oberhirte», wie er angekündigt wurde.
«Sieben fromme Sprüche für Unternehmer» trug er ihnen augenzwinkernd und in unterschiedlicher Länge vor. Er traf damit die Tonlage der rund 400 anwesenden Managerinnen und Politiker. Jedenfalls schmunzelten sie immer wieder und liessen sich die unkonventionelle «Predigt» gerne gefallen. Offiziell trug der rund zwanzigminütige Vortrag den Titel «Der Umgang mit Gästen und Kunden – was Unternehmen von Kirchen lernen können».
Grundlage der «frommen Sprüche» war die Gefangenschaft und der Auszug der Israeliten aus Ägypten. Doch zunächst erklärte Locher, warum gerade er den Unternehmern predigen soll: «Zwar verliert die Kirche Kunden, das stimmt, aber niemand hat über eine so lange Zeit so viele Leute zusammengebracht. Die Kirche macht also nicht alles falsch, man kann etwas von ihr lernen.»
1. «Freiheit ist Chefsache»
Es gebe zwar 1000 Gründe gegen die Freiheit, so Locher, sie bedrohe Gemütlichkeit und Trott, und mancher Israelit wäre wohl gerne in der Gefangenschaft an den Fleischtöpfen bei den Pharaonen geblieben. «Freiheit ist überflüssig, so lange alle ihren Lohn haben.» Doch Unfreiheit führe in einen Teufelskreis, weil immer weniger Leute mit Freiheitssehnsucht angezogen werden. Am Schluss sei es wie in jenem Spital einer britischen TV-Serie: Der Spital funktioniere perfekt, einfach ohne Patienten.
2. «Selbstzweifel plagen nur die Guten»
Moses sah sich nicht als den Führer, der Israel aus Ägypten führen sollte, erläuterte Locher. «Moses plagten Selbstzweifel. Es braucht Typen wie Moses, die unverblümt und unerschrocken ihre Selbstzweifel äussern.»
3. «Aufbruch heisst Abbruch»
Neues könne nur auf Kosten des Alten entstehen, es geht nicht ohne Verletzungen. Da sei beim Auszug der Israeliten aus Ägypten so gewesen, und das habe auch die Kirche erkennen müssen, die ihr altes Religionsmonopol verloren hat.
4. «Personen sind glaubwürdiger als Visionen»
Die Israeliten mussten 40 Jahre in der Wüste ausharren. «Welcher Idiot hat uns hierher geführt?», fragte Locher im Namen aufmüpfiger Israeliten. Jetzt habe Moses hinstehen und argumentieren müssen. Hier helfe weder ein Flipchart mit aufgezeichneter Vision noch ein Gremium, hinter dem man sich verstecken könne. Doch wer seinen Kopf hinhalte, bekomme auch mal eines aufs Dach. «Glauben Sie mir, ich habe eine gewisse Übung darin.»
5. «Grösse beginnt mit innerer Grösse»
Die reformierte Kirche habe zwei Millionen Mitglieder. «Aber wieviel davon ist innere Grösse?» Innere Grösse brauche Zeit, «das Samenkorn muss gedeihen können.» Als Beispiel für einen, der auf innere Grösse warten kann, nannte Locher nicht Moses, sondern den Investor Warren Buffett, eine Person, die dem Publikum vermutlich geläufiger war.
6. «Meine Zeit ist ein tägliches Geschenk»
Moses habe es nicht ins gelobte Land geschafft, so Locher, er sei vorher gestorben. Die Zeit sei begrenzt, und es sei nicht selbstverständlich, dass man jeden Morgen gesund und munter aufstehe.
7. «Du sollst dich nicht so tierisch ernst nehmen»
Damit schloss Gottfried Locher, mit dem nonchalanten Hinweis, dass der letzte fromme Spruch der wichtigste sei. «Wer sich zu ernst nimmt, verkennt die Wirklichkeit: Die Welt funktioniert auch ohne uns.» Und wer das begriffen habe, lebe fröhlicher und sei liebenswürdiger. «Die anderen frommen Sprüche können Sie gleich wieder vergessen.»
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Datum: 30.08.2015
Autor: Matthias Böhni
Quelle: ref.ch