Zu zweit in die Berge
Unser zehnter Hochzeitstag stand kurz bevor. Mein liebevoller Ehemann hatte sich ein besonderes Geschenk überlegt: ein Kurzurlaub über vier Tage in Südtirol – nur wir zwei. Zeit zum Auftanken als Ehepaar in einem Hotel in den Bergen. Er war voller Vorfreude auf diese Zeit und schwärmte davon, wie wunderschön alles werden würde. Umso enttäuschter war er vermutlich, dass ich zwiespältige Gefühle hatte und es mir schwerfiel, dieselbe Leichtigkeit und Freude zu empfinden. Wir hatten innerhalb von dreieinhalb Jahren drei Kinder bekommen. Das Jüngste war gerade ein Jahr alt geworden. Ich hatte seit mehr als vier Jahren ununterbrochen gestillt. Und da wir keine Verwandten in unmittelbarer Nähe haben, waren die Kinder stark auf uns Eltern als Bezugspersonen fixiert.
Gemischte Gefühle
Einerseits freute ich mich sehr darauf, nach vier intensiven Babyjahren ein paar Tage Zeit als Ehepaar zu haben, nachts durchzuschlafen und morgens länger ausschlafen zu dürfen. Es war verlockend, mich nicht um die Mahlzeiten kümmern zu müssen und das Essen in Ruhe geniessen zu können. Die Berge und das Wandern reizten mich. Andererseits konnte ich mir nicht vorstellen, wie das mit drei Kleinkindern gut gelöst werden könnte. Ich stillte unseren Jüngsten noch tagsüber und auch nachts mehrmals. Alle drei Kinder hatten bisher noch nie mehrere Nächte ohne uns Eltern bei Verwandten verbracht. Wer könnte sich liebevoll über vier Tage um die drei kümmern und sie auch nachts gut umsorgen?
Würde unser Jüngster das ohne mich überhaupt schaffen? Und wie würde es mir gehen, wenn plötzlich kein «Milchabnehmer» mehr da ist? Für diesen Kurzurlaub abzustillen, kam für mich nicht in Frage. Daher kämpfte ich in den kommenden Wochen mit gemischten Gefühlen und hatte Angst vor der Unternehmung – Angst davor, so weit weg zu sein von den Kindern, die ich seit ihrer Geburt jeden Tag umsorgt hatte.
Mein Mann und ich hatten in den vergangenen Jahren zwar stets versucht, Zeiten zu zweit möglich zu machen, was uns aber in den meisten Fällen nur mässig gelungen war. Der Regelfall war, dass wir uns in einem Modus befanden, in dem wir für Kinder, Beruf und Ehrenamt in der Gemeinde mehr funktioniert haben, als wirklich Qualitätszeiten zu erleben. Immer wieder bat ich Gott darum, uns beim Organisieren unserer gemeinsamen Auszeit zu leiten, mir Frieden zu geben sowie Vorfreude auf die Zeit zu zweit.
Vorbereitungen
Schliesslich fanden wir eine Lösung: Meine Eltern waren zusammen mit meiner Tante bereit, uns diese Auszeit zu ermöglichen. Sie würden für die vier Tage mit den Kindern in unserer Wohnung leben, sodass diese nicht in eine fremde Umgebung umziehen mussten. Ich schrieb für sie eine «Anleitung» für den Alltag: Wann die Kinder welche Routinen gewohnt sind, was wer gern isst, wie unsere Abläufe beim Ins-Bett-Gehen sind, was hilft, wenn sich ein Kind verletzt oder sich nicht beruhigen will, wo welche Kleidung und andere Utensilien zu finden sind. Medikamente für den Notfall und mögliche Ziele für Aktivitäten draussen waren aufgelistet. Die Mittagsmahlzeiten hatte ich zudem bereits geplant und dafür eingekauft. Ausserdem bereiteten wir die Kinder immer wieder im Gespräch auf den Mama-Papa-Urlaub vor. Wir gestalteten es auch für sie interessant und schön: Die drei durften während unseres Urlaubs jeden Morgen ein Geschenk auspacken und sie wussten: Wenn alle Geschenke offen sind, kommen Mama und Papa zurück. Das weckte in ihnen Vorfreude und half ihnen zu begreifen, wie lange wir unterwegs sein würden.
Ein echtes Wunder
Da Opa am besten mit weniger Schlaf auskommt, war er bereit, den Kleinsten neben sich schlafen zu legen und nachts mit dem Wasserfläschchen zu beruhigen – was wohl auch bis zu siebenmal pro Nacht nötig wurde, aber gut gelang. Das war für uns ein echtes Wunder! Abends, während die zwei älteren Kinder ins Bett gebracht wurden, schob einer der Erwachsenen den Kleinsten im Kinderwagen draussen spazieren, bis er friedlich einschlief. Wir dachten nicht, dass dies so gut funktioniert! Morgens machte einer mit den Kindern eine kleine Spaziertour, während die anderen das Frühstück vorbereiteten – ein grosser Vorteil, dass sie zu dritt waren! Sie hatten alle viel Spass miteinander und es klappte richtig gut daheim.
Ich selbst konnte mir eine Milchpumpe von einer Freundin ausleihen und durch Abpumpen mein Wohlbefinden und die weitere Milchproduktion fördern. Kurze Nachrichten von meinen Eltern, dass alles okay ist und was sie so unternehmen, halfen mir, mich zu entspannen und die Zeit mit meinem Mann zu geniessen. In der dritten Nacht konnte ich sogar fast durchschlafen – das hatte ich in den letzten vier Jahren komplett verlernt! Wir genossen es, in den Bergen zu wandern und uns bei den Mahlzeiten zu unterhalten, ohne unterbrochen zu werden. Wir konnten im Schwimmbad entspannen und einfach nur füreinander da sein. Das hat uns als Ehepaar gestärkt und wieder näher zueinander gebracht.
Anders als erwartet
Ich hatte erwartet, dass sich unser Jüngster am schwersten mit unserer Abwesenheit tun würde. Jedoch vermisste tatsächlich unser ältestes Kind uns am meisten – kam aber auch erstaunlich gut mit der Situation zurecht. Auch das Weiterstillen des Jüngsten war nach unserer Rückkehr kein Problem.
Meine vielen Sorgen haben sich nicht bewahrheitet. Ich habe gelernt, dass die Kids gut ohne uns klarkommen, wir ihnen auch etwas zumuten dürfen und sie bei den Verwandten eine schöne Zeit haben können. Ausserdem habe ich erlebt: Wenn ich Gott vertraue, lenkt er die Dinge und führt sie zum Guten. Er schenkt mir Frieden und den Mut, Dinge zu wagen, die mich Überwindung kosten. Ausserdem ist mir wichtig geworden, gut für unsere Ehe zu sorgen. Denn es geht auch den Kindern gut, wenn wir als Eltern uns gegenseitig wichtig bleiben und in unsere Beziehung investieren. Wir sind Gott dankbar für die besondere Zeit zu zweit und danken meinen Eltern und meiner Tante für ihregrosse Hilfsbereitschaft, Liebe, Kraft und Zeit für unsere drei Kinder!
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Datum: 01.05.2024
Autor:
Linda Müller
Quelle:
Magazin Family 3/24, SCM Bundes-Verlag