Kolumne zum Sonntag

Religion ist nicht nur Privatsache

Es lohnt sich, offen über den persönlichen Glauben zu reden. Davon ist Marc Jost überzeugt. Der Generalsekretär der Schweizerischen Evangelischen Allianz glaubt, dass ein Glaubensdialog sogar friedensfördernd ist. Und ein gesunder Wettbewerb zwischen Religionen und Weltanschauungen führe bei ehrlichem Bemühen näher zur Wahrheit.
Mädchen betet einen Rosenkranz
Marc Jost

Was haben Einkommen, Glaube und Gewicht gemeinsam? Richtig, es gilt als Tabu oder Privatsache des Schweizers. Und wir fragen nicht danach. Aber zumindest die ersten beiden Stichworte interessieren die Medien jeweils brennend, wenn es nach Brisanz, Irritation oder Skandal riecht. Ich werde selten nach meinem Einkommen befragt, aber horrende Managerlöhne interessieren und werden – zu Recht – kritisiert. Wie schwer ich bin, will ausser meinem Arzt und meiner Frau niemand wissen. Auf meinen Glauben werde ich im persönlichen Gespräch kaum direkt angesprochen. Wenn Medien jedoch über mich als Person berichten, ist gerade das Religiöse brisant, weil es nicht ganz gewöhnlich ist.

Muss der persönliche Glaube privat sein?

In einer Zeit, in der es eigentlich fast keine Tabus mehr in den Medien gibt und schamlos über Intimes berichtet wird, steht das verbreitete Verständnis, Religion sei Privatsache, doch etwas schräg in der Landschaft. Muss der persönliche Glaube ganz privat sein oder wäre es besser, wenn wir vielmehr darüber reden würden?

Über den persönlichen Glauben reden ist aus meiner Sicht aus folgenden Gründen sinnvoll: Im Gespräch über Glaube und Religion können Vorurteile hinterfragt und abgebaut werden. Gegenseitiges Verständnis kann wachsen, wenn wir vom Gegenüber erfahren, weshalb es glaubt, was es glaubt. Und schliesslich können solche Gespräche friedensfördernd sein, wenn der anderen Sichtweise statt mit Hass und Ablehnung mit Verständnis und Respekt begegnet wird. Gleichzeitig ist Glaubensdialog auch Wettbewerb zwischen Religionen und Weltanschauungen. Das ist etwas Gutes, denn die eigene Vorstellung wird hinterfragt. Und dies führt bei ehrlichem und ernsthaftem Bemühen näher zur Wahrheit, näher zur Wirklichkeit.

Bitte keine falschen Hemmungen!

Jesus sagt von sich: «Ich bin Der Weg, die Wahrheit und das Leben.» Manchmal scheint es uns vielleicht einfacher, solche steilen Aussagen zu tabuisieren und sich nicht den Kopf zu zerbrechen. Ich bin jedoch überzeugt, Dialog über den Glauben kann uns der Wahrheit näher bringen und fördert ein gutes Zusammenleben. Deshalb keine falschen Hemmungen!

Zum Autor:

Marc Jost ist Generalsekretär der Schweizerischen Evangelischen Allianz SEA und Grossrat im Kanton Bern. Er lebt mit seiner Familie in Thun.

Zur Serie «Kolumne zum Sonntag»:
Joachim Hermann: Die Macht der Stimme
Marc Jost: Wäre die Welt «ohne Politiker und Pfaffen» wirklich ein Paradies?
Joachim Hermann: Steuererklärung – oder der Antrag auf Erlösung
David Kleist: Das schlichte Tischgebet macht einen Unterschied

Datum: 04.05.2014
Autor: Marc Jost
Quelle: Sonntagsblatt des «Berner Oberländer»

Publireportage
Werbung
Livenet Service
Werbung