Wenn Debattieren das Beten ersetzt
Israel polarisiert – nicht nur in den Medien, der UNO oder der Politik, sondern auch unter aufrichtig bekennenden Christen. Einige wollen Israel gegenüber eine neutrale Sicht einnehmen – irgendwie finden sie sich doch plötzlich in einer polarisierenden Stellung wieder. Als Resultat folgen Debatten, welche nicht selten in Streit, öffentlichen Bekämpfung der Sicht der Gegner oder sogar Spaltung enden.
Polarisieren ist «in»
Polarisieren scheint heute im Trend zu sein und dies bei jeglichen Themen. Einige kämpfen mit aller Kraft gegen den Klimawandel oder G5, andere für globale Gerechtigkeit oder den Ausstieg aus der Atomenergie. Und dann wird versucht, Andersdenkende mundtot zu machen. Ob die eigene Argumentation einseitig, polemisch oder sogar übertrieben ist, kümmert wenig. Schliesslich findet heute nur das Extreme Gehör.
Vertretern einer anderen Meinung zuzuhören ist weniger «in». Wer will schon sich und seine Meinung in Frage stellen – besonders, wenn er von Gleichgesinnten umgeben ist. Es ist einfacher, die Sicht der Gegner ungeprüft als «schlecht» darzustellen und die eigene Sichtweise noch radikaler zu vertreten. Das stärkt den Zusammenhalt mit den Mitstreitern und das Gefühl, auf der richtigen Seite zu sein.
Dass Christen gerade beim Thema Israel polarisierende und extreme Standpunkte einnehmen, verwundert eigentlich nicht. Traurigerweise verlieren dabei viele ihre Freude daran, für Israel zu beten – und erst recht für die Araber.
Israel – das grosse Reizthema
Erstaunlich, wie viel Raum das kleine Israel im Denken der Weltbevölkerung einnimmt. Dem Nahostkonflikt werden rekordverdächtig viele Schlagzeilen gewidmet und der Antisemitismus nimmt heute rapide zu. Viele Christen begründen dies mit einer naheliegenden Erklärung: «Antisemitismus ist ein geistliches/dämonisches Problem.» Leider wird dann auch die Theologie gutmeinender Christen mit ähnlichen Worten bezichtigt. «Sie sind verführte Verführer!» Und gewisse Angegriffene verteidigen sich auf entsprechende Weise.
Es entspricht der Natur der Menschheit, auf Druck mit Gegendruck zu reagieren. Und genau dies ist unter Christen zum Thema Israel zu beobachten. So kommt es vor, dass ein Christ, der einst regelmässig für Israel betete, heute nur noch erklärt, weshalb das Feiern von jüdischen Festen für sein Heil nicht entscheidend ist.
Warum können wir denn nicht einfach für Israel beten?
Die meisten Christen stimmen zu, dass Israel für ihren Glauben eine zentral wichtige Rolle spielt. Sie stellen nicht in Frage, dass Gott mit Israel einen einzigartigen Plan verfolgt. Den meisten bereitet es auch keine Mühe anzuerkennen, dass Jesus selbst ein Jude ist. Eigentlich gäbe es doch so viel Grund, für Israel dankbar zu sein und für dieses Volk zu beten – schliesslich sind sich doch auch die meisten Christen einig, dass Israel Gebete nötig hat. Leider wird das gemeinsame Gebet für Israel für manche Christen unmöglich, weil sie sich sogar beim Beten noch theologische Standpunkte um die Ohren hauen.
Warum sollte ich Israel dankbar sein?
Die Frage, ob das Heil durch den Juden Jesus Christus ein für alle Mal für alle Menschen zugänglich geworden ist, oder ob die geistliche Verbundenheit mit der Nation Israel noch immer eine gewisse Heilsquelle darstellt, vermag die Gemüter zu erhitzen. Diese Diskussion geht so weit, dass sich Vertreter des «Jesus ist genug»-Lagers genötigt sehen, die Bedeutung Israels zurückzustufen oder sogar ganz zu verdrängen. Letztlich bleibt es aber eine Tatsache: Ohne das jüdische Volk hätten wir nichts. Wir hätten keine Propheten, keine Bibel und auch keinen Jesus. Und hierfür können wir nichts als dankbar zu sein.
Noch immer Segnungen aus Israel
Adi Furrer bereist Israel seit 15 Jahren. Er ist dankbar für alles, wovon er bei diesen Reisen profitiert hat. Er sagt: «Durch eine teilweise anti-jüdische Theologie stehen wir in Gefahr, die Bibel nicht in seiner Tiefe zu verstehen. Auch das Neue Testament ist nämlich zutiefst geprägt von jüdischer Kultur.»
Dazu gehört auch das Bewusstsein, dass Jesus kein Europäer und sein Reden von nahöstlichem Denken durchdrungen war. Wer die Evangelien durch die Brille eines Juden liest, wird ein klareres und tieferes Verständnis von Jesu Leben und Lehren erhalten. «Ohne Juden hätten wir nichts», hält Furrer fest. «Alles, was unser Glaube ausmacht, empfingen wir durch die Juden.»
Und das ändert sich auch nicht, wenn wir Gott als letztlichen Geber verstehen. «Wenn wir sehen, was wir von den Juden erhalten haben, sollten wir zumindest dankbar sein!» betont er und liebt es, über seine gewonnenen Erkenntnisse während seiner Israelreisen zu berichten. Es ist eindrücklich, wie sich die Bibel gerade im Heiligen Land auf besondere Weise öffnet. Und dazu gehört für Adi Furrer eben auch die Liebe zu den Arabern, die er bei gewissen Israelfreunden vermisst.
Zu einem vereinten Gebet für Israel zurückfinden
Zu einem richtigen Verständnis der Rolle Israels zu finden, ist für den aufrichtigen Bibelleser eine Herausforderung. Sobald er meint, zu einem korrekten Verständnis gefunden zu haben, stösst er auf einen Bibeltext, der ihn wieder durcheinander bringt. Und wenn das aktuelle politische Geschehen mit einbezogen und mit dem biblischen Verständnis in Einklang gebracht werden will, kann es noch schwieriger werden. Wir tun gut daran, uns zu demütigen und Bereitschaft zu signalisieren, die Argumente andersdenkender Christen zu verstehen. Es könnte ja sein, dass wir dabei sogar etwas lernen könnten. Auf jeden Fall können wir aber dankbar sein für alles, was wir von den Juden empfangen haben. Und wir können für sie wie auch für die Araber beten.
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Datum: 13.09.2019
Autor: Markus Richner-Mai
Quelle: Livenet