Gauck, der «Präsident der Herzen»
Das Ende des zweiten Weltkriegs sah Joachim Gauck als fünfjähriger. Der am 24. Januar 1940 in Rostock geborene Sohn eines Kapitäns und einer Bürokauffrau erlebte 1951 mit elf Jahren, wie sein Vater vom sowjetischen Geheimdienst verhaftet wurde und für Jahre spurlos in einem Arbeitslager in Sibirien verschwand. Das Erlebnis prägte die Haltung der Gaucks zur DDR. Die Mutter erzog Joachim Gauck und seine beiden Geschwister in strenger Ablehnung zur staatlichen DDR-Obrigkeit.
Evangelischer Theologe
Gauck
studierte von 1958 bis 1965 evangelische Theologie und schlug damit
einen Berufsweg ein, der ihn in Distanz zum SED-Regime hält. Als
Pastor in Rostock wurde er im Herbst 1989 zu einem der Köpfe des
kirchlichen und öffentlichen Protests, er wurde Bürgerrechtler und
Mitbegründer des Neuen Forums in der Hansestadt.
Der parteilose Gauck
ist kein eingefleischter Politiker. Zwar kandidiert er 1990 für das
«Bündnis 90» bei der ersten freien DDR-Volkskammerwahl. Als Abgeordneter
leitet er später den Parlamentsausschuss zur Kontrolle der Auflösung
des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR, schliesslich wird er zum
ersten Beauftragten für die Stasi-Unterlagen berufen – als
Sonderbeauftragter leitet er die nach ihm benannte Gauck-Behörde bis
2000.
«Bin nicht gewaschen!»
Der evangelische Pfarrer und DDR-Bürgerrechtler gilt als unabhängiger Kopf und brillanter Rhetoriker. Obwohl von Parteien umworben, liess sich Gauck nie parteipolitsch einbinden, er bezeichnete sich als «linker liberaler Konservativer». Bei der Bundespräsidentenwahl 2010 unterlag er knapp Christian Wulff. SPD und Grüne hatten ihn damals als überparteilichen Konsens-Kandidaten für das Amt vorgeschlagen.
Die zweite Chance zum Einzug in Schloss Bellevue hatte Joachim Gauck kaum mehr erwartet. Im Taxi von der Fahrt zum Flughafen habe ihn der Anruf von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) erreicht. Er hatte am Sonntag Termine in Wien. «Ich bin noch nicht einmal gewaschen», bekundete Gauck am Sonntagabend freimütig bei der Pressekonferenz im Bundeskanzleramt in Berlin.
Dort präsentierten ihn die Parteivorsitzenden von Union, FDP, SPD und Grüne als gemeinsamen Kandidaten, dies zwei Tage nach dem Rücktritt von Bundespräsident Christian Wulff. Nachdem der ehemalige Stasi-Beauftragte Gauck im Sommer 2010 als Oppositionskandidat dem rund 20 Jahre jüngeren Wulff in der Bundesversammlung unterlegen war, gilt nun als sicher, dass der 72-Jährige zum elften Staatsoberhaupt der Bundesrepublik Deutschland gewählt wird. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sagte, sie sei sicher, dass Gauck als Präsident wichtige Impulse geben könne.
«Wir leben in gutem Land»
Gauck wird der erste Bundespräsident mit DDR-Biografie. Dass dies auch seine Agenda als Präsident prägen wird, machte er schon bei der Vorstellung am Sonntagabend deutlich. Ihm sei wichtig, dass die Menschen in Deutschland wieder lernen, dass sie «in einem guten Land» leben. Die Freiheit gebe ihnen «wunderbare Möglichkeiten» zu einem erfüllten Leben, sagte Gauck sichtlich bewegt.
«Die Idee der Freiheit in Verantwortung» - das sei Gaucks Thema, sagte Kanzlerin Angela Merkel, die trotz ihrer Entscheidung für Wulff vor zwei Jahren aus ihrer Sympathie für Gauck nie einen Hehl gemacht hat.
In den vergangenen Jahren war Gauck, der seit 1991 getrennt von seiner Frau lebt und vier erwachsene Kinder hat, vor allem als Vortragsreisender in Deutschland unterwegs. Er referierte beispielsweise über die deutschen Verhältnisse in Ost und West. Themen für den Vorsitzenden des Vereins «Gegen das Vergessen – Für Demokratie» sind allerdings immer wieder auch die Verbrechen der NS-Diktatur und das Demokratiebewusstsein in Deutschland.
Pfarrerstochter und Theologe
Angela Merkel, die erste aus Ostdeutschland stammende Kanzlerin, hat ebenfalls Wurzeln in der Kirche. Ihr Vater war Pfarrer, gleich wie Gauck, der so gut wie sicher zum elften Bundespräsidenten gewählt wird. Er wird als erster Ostdeutscher an der Spitze der Bundesrepublik stehen.
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Datum: 21.02.2012
Quelle: Epd