Lifestyle-Trend aus den USA

Tradwives – Leben wie in den 50er-Jahren

«Tradwives» bezeichnet den Trend, zu leben wie die Frauen in den 50er Jahren.
Wie in den USA zeigen sich auch hierzulande Frauen als «Tradwives» im Netz und posten bei Insta und TikTok ein Leben zwischen Haushalt, Kindern und Küche. Ist das ein kurzfristiger Hype oder biblische Rückbesinnung?

Während in Deutschland Heinz Erhardt als Witwer mit fünf Töchtern dringend eine Frau sucht, schwingt in den USA Doris Day perfekt gestylt die Kochtöpfe in ihrer Küche. Dieses Familienbild der 1950er-Jahre inklusive des dazugehörenden Kleidungsstils transportiert eine Bewegung, die seit den 2020ern aus den USA auch nach Europa schwappt: die «Tradwives». Ein Tradwife (Kunstwort für «traditionelle Ehefrau») ist dabei eine verheiratete Frau der westlichen Welt, die sich für ein Leben der traditionellen Geschlechterrollen der 50er-Jahre entscheidet, in der Regel auf eine berufliche Karriere verzichtet und sich stattdessen als Hausfrau verwirklicht. Bei etlichen gehört dazu eine offensive Präsenz in den sozialen Medien.

Wunsch nach Tradition und Sicherheit

Estee C. Williams (24) ist solch ein Tradwife. Die TikTok-Influencerin, deren Posts von bis zu 1,5 Millionen Menschen angesehen werden, sagt gegenüber CNN: «Ich liebe die Ästhetik der 50er-Jahre mit meinem eigenen modernen Touch bei der Hausarbeit. Der Unterschied ist, dass wir die Wahl haben. Frauen können sich entscheiden, keine Hausfrau zu sein, zu arbeiten oder eine Mischung von beidem zu haben.»

Völlig neu ist dies nicht. Zu vielen Gelegenheiten orientieren sich Menschen an der Vergangenheit. Gerade wenn die Gegenwart unsicher schien, standen Retro-Bewegungen, Nostalgie und Tradition schon häufiger hoch im Kurs. Bereits in den grossen gesellschaftlichen Umbrüchen des 19. und 20. Jahrhunderts gab es laut der Feminismus-Forscherin Catherin Rottenberg etliche Frauen, die sich gegen das Frauenwahlrecht und die Gleichberechtigung stellten. Und Wheaton-Professorin Emily McGowin erklärt: «Wir befinden uns in einer Zeit der Verwirrung und Hässlichkeit. Die Leute suchen etwas Schönes und Ansprechendes, eine Zeit, in der die Dinge einfacher waren, obwohl wir wissen, dass die Dinge nicht einfacher waren.» Doch wie wird das neue Anlehnen an den «starken Mann» und die Rückorientierung aufs Hausfrauendasein als erfüllendes Lebenskonstrukt wahrgenommen?

Kritik

Tatsächlich spart die Tradwife-Szene nicht mit Kritik am von ihr beobachteten gesellschaftlichen Werteverlust, doch auch sie selbst wird hauptsächlich kritisch beurteilt. Da ist die Rede von Antifeminismus, Sexismus und Rassismus. Einige sehen hart erkämpfte Frauenrechte in Gefahr. Konkret wird dies, wenn Schönheitstipps damit begründet werden, dass «Männer eben sehr auf das Sichtbare fokussiert» wären, eine Ausbildung für Frauen nicht nötig sei und eine klare Unterordnung unter den Ehemann unabdingbar wäre, denn «untergeordnete Frauen werden von ihren Ehemännern beschützt und geführt» (Estee C. Williams laut Watson.ch). Sowohl die Ängste mancher Tradwives als auch diejenigen ihrer Kritikerinnen und Kritiker beinhalten dabei wenig Bereitschaft, die jeweils andere Weltsicht als eine legitime Form stehenzulassen. So wie die einen das traditionelle, biblische und richtige Familienbild in Gefahr sehen, warnen die anderen vor einem politischen Rechtsruck und der Reduzierung von Frauen auf die «3 K» Küche, Kinder, Kirche, vor einer Bewegung, die sich hervorragend als trojanisches Pferd für rechte Ideologie eignet.

Kein biblisches Modell

Kommentatoren wie Margaux Habert ziehen eine schnelle Verbindung zu den USA unter Donald Trump: «Die Entstehung dieser Social-Media-Bewegung fällt zufälligerweise in die Zeit der ersten Präsidentschaftskampagne von Donald Trump 2016. Damals tauchte nebst seinem bekannten Slogan ‘Make America Great Again’ auch ein anderer auf: ‘Make Traditional Housewives Great Again’. Und selbst explizit christliche Medien wie die US-Seite «Christianity Today» beurteilen die Bewegung eher kritisch, weil sie Geschlechterideologie in den Mittelpunkt schiebt, weltflüchtig agiert und «hyperfeminine Weiblichkeit und streng definierte Geschlechterrollen vergeistigt. Es ist ein Inhalt, … der für eine neue Generation neu verpackt wurde». Der New Yorker Abbi Nye ergänzt zu den Social-Media-Darstellungen: «Diese Bilder von einfacher Schönheit und langsamem Leben sind nicht real.» Tatsächlich beschreiben sie in erster Linie den Lebensstil reicher Weisser – und kein tragfähiges Modell für jedermann und jedefrau. Und eine wiederbelebte Tradition aus den 50er-Jahren ist dadurch nicht unbedingt «biblisch».

Was bleibt, sind die Anfragen, die durch die Bewegung der Tradwives entstehen: In erster Linie sind es nämlich nicht rückständige Geschlechternormen, die Frauen ihre Freiheit nehmen, sondern wirtschaftliche Zwänge. Gleichzeitig haben scheinbar progressive Entwicklungen ihren Charme verloren: frau will nicht das ehemalige Hausfrauendasein gegen eine stupide, unterbezahlte Vollzeitbeschäftigung eintauschen und die Hausarbeit trotzdem erledigen. Mehr als ein selbstbewusstes Statement scheint die Tradwife-Bewegung ein Hilferuf zu sein, dass Frauen sich nicht als selbstbestimmt und befreit erleben, sondern als unterbezahlt und überarbeitet.

Zum Thema:
Weltweite Trennung erwartet: Konservative Methodisten starten neue Denomination
Konservative sind toleranter: Links, urban, gebildet – und intolerant
Bibel im Kino: «Noah» – verboten, kritisiert, aber keineswegs untergegangen

Datum: 18.03.2024
Autor: Hauke Burgarth
Quelle: Livenet

Werbung
Livenet Service
Werbung