Einspruch gegen die von der Kanzel verkündete Christuslehre

Kanzel

In einer Kolumne in der bernischen Kirchenzeitung "saemann" hat der emeritierte Theologieprofessor Walter J. Hollenweger den Pfarrern in ihren Predigten Unwahrhaftigkeit vorgeworfen. Verantwortliche der Berner Kirche nehmen’s gelassen. Ein Professor für Neues Testament zweifelt nicht an der Glaubwürdigkeit der Pfarrer. Ein Pfarrer erklärt, warum ihn der Artikel dennoch ärgerte.

In der Rubrik "EinSpruch!" der letzten Ausgabe des "saemann" kritisierte Hollenweger die Christologie, die von den Gemeindekanzeln noch gelehrt werde. Die Kirche tue sich schwer mit der Wahrheit, wenn die Pfarrerinnen und Pfarrer "wider besseres Wissen" noch predigen, Jesus habe gesagt: "Niemand kommt zum Vater denn durch mich." Auch dass verkündigt werde, Jesus sei wegen unserer Sünden von seinem Vater geopfert worden, sei lediglich eine von mehreren nachträglichen Sinndeutungen. Hingegen werde damit der wahre historische Grund verschwiegen. Dieser Grund liege nämlich einzig darin, dass Jesus als Unruhestifter und potenzieller Messias für das Establishment ein Sicherheitsrisiko gewesen sei. "Diese und andere Fakten sind jedem Theologen bekannt", schreibt Hollenweger. "Doch in den Gemeinden wird immer noch die Geschichte vom Klapperstorch herumgeboten."

Christologie ist breiter

Samuel Lutz, Synodalratspräsident der reformierten Kirche Bern-Jura, hat Verständnis für die Argumentation des bekannten Theologen. "Ich höre seine Botschaft, auch wenn er vielleicht zu schnell in den PC getippt worden ist", kommentiert Lutz den Kommentar. "Hollenweger will der Pfarrerschaft in Erinnerung bringen, dass die Christologie viel breiter ist", sagt Lutz. "Für die Erklärung des Todes Christi gibt es zahlreiche Motive, aber nicht alle sind Satisfaktionsmotive (Versöhnungsmotive)." Das Evangelium sei auch nicht durch die Satisfaktionsdeutung entstanden, sondern weil die Jüngern nach Ostern den lebendigen Herrn erlebt hätten. Das Anliegen Hollenwegers versteht der Verantwortliche der reformierten Berner Kirche so: Es sei dem Theologen darum gegangen, zu zeigen, "dass die Pfarrerschaft aus dem, was sie theologisch wissen, im Amt so wenig macht".

Uni lehrt Glaubenszeugnisse

Widerspruch gegen den Kommentar von Hollenweger kommt aus der Fakultät. In der Frage, warum Jesus in Jerusalem gestorben sei, gebe es, wie in allen historischen Fragen, keine Gewissheiten, sondern nur nach bestem Wissen und Gewissen gefällte Wahrscheinlichkeitsurteile. Dass Jesus als politischer und sozialer Revolutionär seinen Widersachern ins Netz ging, glaubt Ulrich Luz, Neutestamentler an der Theologischen Fakultät Bern, nicht. Jesus sei vielmehr ganz bewusst für seine Sache, das anbrechende Gottesreich, in Jerusalem gestorben. Dass er seinen eigenen Tod im Sinne von Markus 14,24 als Sühnetod verstanden habe, sei zwar nicht beweisbar, aber historisch nicht unwahrscheinlich, sagt Luz. An der Fakultät wolle man die Studierenden mit den vielfältigen Zeugnissen über Jesus Christus vertraut machen. Man sage nicht "das musst du glauben", sondern man lehre das Christuszeugnis, wie es etwa die Alte Kirche, die Reformation, der Pietismus oder die Befreiungstheologie ausgelegt haben. Die Menschen, welche die Fakultät verliessen, seien jeder auf seine Weise von der Bibel geprägt. "Ihr Zeugnis ist sehr verschieden. Das erlebe ich oft: Jeder und jede muss das Evangelium so bezeugen, dass es für ihn oder sie stimmt. So nämlich, dass man dafür gerade stehen und notfalls sogar die Hand ins Feuer halten kann", so Luz. Gut sei, dass Gott uns nicht uniformieren, wohl aber zu authentischen Christen machen wolle.

Freiheit auf der Kanzel

Ich habe mich an diesem Artikel von Hollenweger gestossen und bin überrascht", bekennt Beat Kunz, Pfarrer in Zollikofen. Die Aussage scheine ihm sehr hölzig und es habe ihn überrascht, dass sie von Hollenweger komme. Das Sühnopfer Jesu sei eine der zentralen Aussagen des Neuen Testamentes. An den Worten Jesu "Niemand kommt zum Vater denn durch mich" halte er fest. Natürlich lerne man im Studium an einer theologisch-liberalen Fakultät auch die historisch-kritische Exegese, sagt Kunz. Aber als Pfarrer auf der Kanzel verkündige er nach seinem theologischen Grundsatzverständnis. Die Fakultät habe da keinen direkten Einfluss, sagt Kunz.

Datum: 16.08.2002
Quelle: idea Deutschland

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