Prof. Dr. Reto Knutti: «Wir könnten es schaffen»
«Alles, was wir als Wissenschaftler im Klima beobachten, wird heute wärmer und verändert sich schnell.» Ausgetrocknete Seen, schmelzende Gletscher, schneelose Dörfer wie Knuttis Heimatdorf Gstaad und Flüsse und Seen mit Hochwasser: Das sind Bilder, die wir leider bereits kennen. Rekorde jagen sich – gerade war 2024 das wärmste Jahr bisher. Knutti beschrieb die Auswirkungen der grossenteils menschengemachten Klimaentwicklung anhand von vier Kriterien: Die Wärme nimmt zu – auch in der Schweiz sterben pro Jahr mehrere hundert Menschen an der Hitze. Im Sommer gibt es mehr Trockenheit; die Starkniederschläge nehmen zu, denn warme Luft nimmt mehr Feuchtigkeit auf, und der Schnee geht zurück (und die Gletscher schmelzen).
Die Fakten sind bekannt. «Was machen wir?», ist die grosse Frage, die komplexer ist, als allgemein angenommen. Die für den Wissenschaftler ernüchternde Tatsache ist: «Zahlen allein verändern nichts.» Paris hat sich 2015 Klimaziele gesetzt, und «wir sind noch nicht auf Kurs», so Knutti ehrlich. Dabei wäre das 1,5 Prozent-Ziel mit den heutigen Mitteln und Möglichkeiten zu schaffen. Was blockiert? Knutti ortet verschiedene Problemfelder. Da ist einmal die Komplexität der Probleme und die Frage, «wie wir unter Menschen, die eine 10-Sekunden-Aufnahmespanne haben, eine informierte Diskussion führen». Macht und Lobbying spielten auch eine massive Rolle – nicht zuletzt aber die Fähigkeit des Menschen, die Wirklichkeit seiner Weltanschauung entsprechend zu deuten und sogar zu Lügen zu greifen, um diese Deutung zu verteidigen.
Was kann der Einzelne tun?
Knuttis These: «Man kann als Individuum viel tun: auf kleine Elektroautos und Solar umsteigen, weniger fliegen, weniger Kleider verbrauchen – aber im Ganzen braucht es gesellschaftliche und damit politische Rahmenbedingungen, ohne die es nicht geht.» Statt «Zwang und vage» plädiert er für «positiv, motivierend und konkret»: «Die politische Lenkung funktioniert dann, wenn die Alternativen attraktiv und günstiger sind. Nichts tun kostet langfristig mehr. Wir hatten noch nie so viele Möglichkeiten wie jetzt. Als Schweiz sind wir innovativ, finanziell stark und sollten eine Vorreiterrolle übernehmen.»
Eine Botschaft, die bei den etwa 60 teilnehmenden Politikerinnen und Politikern – vom Nationalrat bis zu Gemeinde- und Stadträten – und Führungspersonen aus Wirtschaft und Kirchen auf offene Ohren stiess, wie die anschliessende Diskussion zeigte. Knutti zeigte sich dabei beeindruckt, wie fair und konstruktiv die politische Diskussion in seiner Wahlheimat Thun abläuft.
Der 16. Thuner Politlunch wurde wie bisher von Stadträten aus der Fraktion der GLP, der EVP und der EDU veranstaltet. Der Anlass ist aus der Gebetswoche der Evangelischen Allianz Thun heraus entstanden.
Zum Thema:
Christ und Klimaaktivist: Ist es unsere Aufgabe, das Klima zu retten?
«Glaube.Klima.Hoffnung.»: Wie Armut und Klimawandel die Gläubigen bewegen
Ökumenische Klimatagung: Christsein in der Klimakrise
Datum: 17.01.2025
Autor:
Reinhold Scharnowski
Quelle:
Livenet