Pastor kämpft gegen Rechte

«Als Christ kann ich das nicht hinnehmen»

Die Südheide ist eine von drei Hochburgen für Neonazis in Niedersachsen: Die Region ist einsam, dünn besiedelt und es gibt wenige Arbeitsplätze. Gute Voraussetzungen für Rechte, ihre Ideologie populär zu machen und schon Kinder und Jugendliche zu indoktrinieren. Doch ein Pfarrer leistet hartnäckig Widerstand.
Wilfried Manneke bei einer Demo gegen ein Treffen von Neonazis.

Der Weg nach Unterlüss ist still und eintönig. Nur wenige Fahrzeuge sind an diesem Januartag auf den Landstrassen in der Südheide in Niedersachsen unterwegs. Rechts und links der Fahrbahn erstreckt sich die karge Winterlandschaft der Heide, plattes Land mit kahlen Bäumen und kleinen Wäldchen säumt die Strasse. Alle paar Kilometer liegt ein einsames Gehöft am Strassenrand oder ein Dorf, das so klein ist, dass man es gefühlt schon durchquert hat, sobald man das Ortsschild entziffert hat. Man fährt durch Eschede, einen grösseren Ort, dessen Name manchem wegen des Zugunglücks im Jahr 1998 etwas sagt. Dann wieder lange nichts, dann kommt Unterlüss.

Anlaufpunkt für Neonazis

Ein grosses Pfarrhaus mit Garten steht gleich am Ortsrand. Von aussen wirkt es behaglich, von innen urgemütlich. Wilfried Manneke wohnt hier. Der Pastor empfängt den Besuch im Arbeitszimmer, die Lesebrille vorne auf der Nasenspitze. Seine Frau bringt Kaffee. Die Uhren hier scheinen langsamer zu ticken als anderswo. Es ist friedlich.

Doch der Eindruck täuscht. Unter der Oberfläche brodelt es. Und das schon seit Jahrzehnten. Manneke ist seit 22 Jahren Pastor der evangelischen Friedenskirche Unterlüss. Genauso lange kämpft er schon gegen den Rechtsextremismus in der Region. Denn die Gegend ist ein Anlaufpunkt für Neonazis, so lange Manneke denken kann.

Es gibt drei Regionen in Niedersachsen, die in der rechten Szene besonders bekannt sind: Die Heide, der Harz und das Schaumburger Land. «Die Heide ist dünn besiedelt, es gibt wenige Arbeitsplätze und kaum Industrie», sagt Manneke. Für die rechtsextremen Kameradschaften sind das perfekte Voraussetzungen, um Treffen zu organisieren, ihr Vorgehen zu planen und ihrer Ideologie zu huldigen. «Wir erobern die Städte vom Land aus», hatte der Anwalt und NPD-Funktionär Jürgen Rieger postuliert. Rieger war früher in der Südheide aktiv. Viele in der Region kennen ihn aus Medienberichten, als er im Jahr 2009 das Landhotel Gerhus im nahegelegenen Fassberg von Neonazis besetzen liess, um es für seine Zwecke zu nutzen. Der Plan schlug jedoch fehl. Mittlerweile ist Rieger verstorben, seine Anhänger sind aber immer noch aktiv.

Behörden haben es schwer

Zentrum für ihre Treffen ist dreimal im Jahr ein abgelegener Hof bei Eschede, der Hof von Landwirt Joachim Nahtz. Drei Kilometer sind es vom Hof bis zur nächsten befestigten Strasse. Bis vor drei Jahren kamen bei jedem Treffen noch mehr als 300 Neonazis zusammen: Zu den Sonnenwendfeiern im Juni und Dezember und zum Erntefest im September. Die Feiertage stammen aus der Zeit des Nationalsozialismus. Die Neonazis begehen sie noch. «Es gibt ein grosses Feuer und Tanz, deutsche Lieder werden gesungen, auch einen Info- und Bücherstand gibt es. Es ist eine Mischung aus Folklore und Indoktrination», sagt Manneke. Nach dem Verkauf von Landflächen darf Nahtz mittlerwweile aber nicht mehr als 100 Leute auf seiner Hofstelle unterbringen.

Das sind 100 zu viel, findet der Pastor. «Wenn die Behörden nachfragen, sagt Joachim Nahtz, es sei eine Geburtstagsfeier», sagt Manneke. Weil die Veranstaltungen auf Privatgelände stattfinden, haben die Behörden es schwer, dagegen vorzugehen. Manneke will das nicht hinnehmen.

«Bunte Vielfalt statt brauner Einfalt»

Er stellt sich den Neonazis buchstäblich in den Weg. Zusammen mit Mitgliedern aus seinem «Netzwerk Südheide», in dem sich mehr als 500 Menschen gegen Rechtsextremismus zusammengeschlossen haben, geht er auf die Strasse. Immer, wenn die Treffen auf dem Hof stattfinden, stehen sie vor der Zufahrt und demonstrieren. «Die Heide blüht lila und nicht braun!», ist zum Beispiel auf den Schildern zu lesen. «Bunte Vielfalt statt brauner Einfalt», steht auf einem anderen. «Wir sind sehr wachsam und gucken genau hin», sagt Manneke über das Netzwerk Südheide. «Wenn sich etwas tut, schlagen wir Alarm.»

Der Pastor kann dem Rechtsextremismus nicht schweigend zuschauen: «Als Christ kann ich nicht einfach hinnehmen, wenn andere Menschen diffamiert werden. Christlicher Glaube und Rechtsextremismus sind unvereinbar.» Und: «Gott liebt alle Menschen. Es wird Zeit, dass wir das endlich erkennen und in dieser Weise auf unsere Mitmenschen zugehen.» 179 Personen kamen seit der Wende durch Rechtsextreme in Deutschland ums Leben: «Erschlagen, aus fahrenden Zügen geworfen, angezündet,» sagt Manneke. Das «Netzwerk Südheide» stellt alle diese Menschen in einer Wanderausstellung vor, die sich auch Schulen ausleihen.

Seit er die Apartheid in Südafrika erlebt hat, engagiert sich Manneke gegen Rechts. Vor seiner Zeit in Unterlüss war er dort zwölf Jahre Auslandspfarrer der Evangelischen Kirche. «Das hat mich sensibel gemacht für Themen wie Rassismus, gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit und Ausgrenzung», sagt er. Bis zu den ersten freien Wahlen in Südafrika im Jahr 1994 hätten die Weissen im Land alle Menschen anderer Hautfarbe diffamiert, ausgegrenzt und verletzt. Manneke erlebte die Rechtsprechung als unfair. Schwarze oder Inder seien weniger wertgeachtet worden als die Weissen, erinnert er sich.

Racheakte von Rechtsextremen

«Ziel der Neonazis ist es, diese Politik auf die ganze Welt zu übertragen», sagt Manneke. Das will er verhindern. Sorgen macht ihm, dass viele Jugendliche in der Region für die Parolen der Rechten empfänglich sind. Es gibt in der Südheide wenige Angebote für sie und wenig Freizeitbeschäftigung. Die Rechten seien zudem nicht mehr so leicht zu erkennen. Bomberjacke und Springerstiefel – das war einmal. Manneke und sein Netzwerk leisten deshalb viel Aufklärungsarbeit in Schulklassen, kommunalen Jugendtreffs und im Konfirmandenunterricht.

Sein Engagement bleibt nicht ohne Folgen. Immer wieder wird er zur Zielscheibe für Anschläge von Rechtsextremen. Schon ein Jahr, nachdem er mit dem Kampf gegen die Rechten begann, gab es die ersten Racheakte: ein Hakenkreuz an der Kirchentür; Neonazis, die nachts vor seinem Haus standen und brüllten «Juden raus» und «Am Kreuz soll kein Jude hängen, sondern ein Arier». Im Internet sei er auf einschlägigen und heute verbotenen Webseiten als «Volksverräter» bezeichnet worden. «Man solle mich nach Israel oder in die Türkei deportieren, hat dort gestanden.» Das Schlimmste sei der Brandanschlag gewesen: 2011 warfen Rechtsextreme einen Molotowcocktail auf das Pfarrhaus. «Die Flammen schlugen zwei Meter hoch an der Hauswand», sagt Manneke. Um 30 Zentimeter verfehlte der Sprengsatz das Küchenfenster. «Wäre der Molotowcocktail ins Haus geflogen, hätte es auch drin gebrannt.» Die Ermittlungen der Polizei führten zu nichts. Manneke erzählt ungerührt von dem Vorfall, so als sei das für ihn nichts Aussergewöhnliches.

«Verkündigung in Wort und Tat»

«Wer sich gegen Rechtsextremismus engagiert, der muss mit massiven Anfeindungen rechnen», sagt er. Nicht alle im Ort haben dazu den Mut. Viele haben Angst, von den Rechten wiedererkannt zu werden. Denn in einem Ort wie Unterlüss kennt jeder jeden. Doch die Solidarität ist stark. Nach dem Brandanschlag erliess der Gemeinderat eine Resolution gegen Rechtsextremismus, bei einer Demo mit Mahnwache und Gottesdienst kamen über 500 Menschen zusammen.

Trotz der Anfeindungen macht Manneke weiter. «Tu, was dir vor die Hand kommt», heisst sein Motto, das er aus der Bibel aus Prediger, Kapitel 9, Vers 10, ableitet. Dort heisst es: «Alles, was dir vor die Hände kommt, es zu tun mit deiner Kraft, das tu; denn im Totenreich, in das du fährst, gibt es weder Tun noch Denken, weder Erkenntnis noch Weisheit.» Ihm geht es um «Verkündigung in Wort und Tat».

In seiner Gemeinde liegt ihm die Mission am Herzen und «Menschen für Christus zu gewinnen». Doch er sieht sich auch als «Advokat für benachteiligte Menschen». Sein Glaube ist dabei ein starkes Fundament. Deshalb wird er sich auch kommendes Jahr, wenn er in den Ruhestand geht, weiter in seinem Netzwerk engagieren. Er wird weiter in Schulen und Jugendgruppen gehen, um aufzuklären. Und er wird weiter dreimal im Jahr vor dem Hof bei Eschede stehen und ein Schild hochhalten, auf dem steht: «Die Heide blüht lila.»

Zum Originalartikel auf PRO

Zum Thema:
Gelebte Versöhnung: Wie ein Neo-Nazi verändert wurde

Datum: 26.02.2018
Autor: Swanhild Zacharias
Quelle: Pro Medienmagazin

Verwandte News
Werbung
Werbung
Livenet Service