Türkei: Ein Schritt zu mehr Religionsfreiheit
Bei einem Treffen mit Vertretern der 161 nicht-muslimischen Stiftungen des Landes ging Erdogan auf den kurz zuvor veröffentlichten Erlass seiner Regierung ein, der die Rückgabe von eingezogenem Besitz nicht-muslimischer Stiftungen oder die Entschädigung für die Enteignungen vorsieht. Die Verordnung behebe Defizite, die bei der Umsetzung bereits beschlossener Gesetze zur Besserstellung der nicht-muslimischen Gruppen aufgetreten seien, so Erdogan.
Der Erlass zur Rückerstattung wurde von christlichen und jüdischen Vertretern bei dem Treffen mit Erdogan begrüsst. Patriarch Bartholomaios I. sagte, die Türkei sei auf dem richtigen Weg. Oberrabbiner Haleva sprach von einer «Revolution».
Kommentar: Türkei löst auch eigenes Problem
Noch nie haben sich die Spitzenvertreter von Christen und Juden in der Türkei mit einer Regierung in Ankara so wohlgefühlt. Ausgerechnet der von seinen Gegnern als Islamist beschimpfte Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan hat nach mehreren Gesetzesänderungen zugunsten der nicht-muslimischen Minderheiten in den vergangenen Jahren jetzt per Erlass die Rückgabe von mehreren hundert Immobilien an Stiftungen von Christen und Juden verfügt.
Erdogan selbst begründete den Schritt mit der rechtlichen Gleichstellung aller Bürger der Türkei. Der neue Erlass sieht nun die rasche Rückgabe von Immobilien oder aber eine Entschädigung zum Marktwert vor, falls die Häuser oder Grundstücke inzwischen an Dritte verkauft wurden. Erdogans Vize Bülent Arinc betonte, es handle sich nicht um einen Gefallen für die Nicht-Muslime, sondern um die Sicherung ihrer Rechte als türkische Staatsbürger.
Erdogan sprach aber auch den vermutlich entscheidenden Aspekt an: Nun seien Schwierigkeiten gelöst, die der Türkei seit Jahren international Probleme bereiteten. Damit spielte Erdogan auf internationale Gerichtsverfahren an, bei denen die Türkei unterlegen war. Solche Prozesse könnten dank des neuen Erlasses künftig vermieden werden. Es gebe keinen Grund mehr, wegen einer Verletzung von Besitzrechten nach Strassburg zu gehen, hoffen die Politiker.
Der EU-Beitritt hat für die Türkei absolute Priorität. Das Land zeigt mit der Entscheidung nicht nur, dass es rechtliche Probleme der religiösen Minderheiten lösen will. Es vermeidet auch die Blamage, bei internationalen Prozessen am Pranger zu stehen und damit den EU-Beitritt zu verzögern.
Datum: 01.09.2011
Autor: Bruno Graber
Quelle: Kipa