«Iss endlich normal!»
Man geht davon aus, dass nach Ablauf von vier Jahren zehn Prozent aller Frauen, die unter Magersucht leiden, gestorben sind. Deshalb ist eine Therapie notwendig. Doch sie ist oft langwierig, fordert Patientinnen wie Therapeuten immer wieder heraus.
Hungern, essen, erbrechen
Viele Essstörungen – insbesondere Anorexie, auch Magersucht genannt, und Bulimie, als Ess-Brech-Sucht bekannt, – beginnen mit einer Diät. Wenn andere belastende Faktoren dazukommen und der Mensch in eine emotionale Instabilität gerät, kann das Essverhalten eine Eigendynamik entwickeln und zur Droge werden.
Eine Frau, die unter Magersucht leidet, erlebt zunächst, dass sie sich kontrollieren kann. Sie hat sich im Griff, ist schlanker als die anderen. Für sie ist jedes Mal, wenn die Waage etwas weniger anzeigt, ein Erfolgserlebnis. Langsam verzerrt sich jedoch die Selbstwahrnehmung. Sie erschrickt bei jeder kleinen Wölbung des Bauches und muss dieses stundenlang abtrainieren oder runterhungern und ist doch letztlich nie mit ihrem Aussehen zufrieden. Das Hungern wird zum Zwang, zur Qual, und doch ist es vertraut, gibt Halt und ist das Wichtigste im Leben.
Nicht selten entsteht in Folge einer Anorexie eine Bulimie. Irgendwann wird durch das ständige Hungern der Drang nach Essen so intensiv, dass übergrosse Mengen an Lebensmitteln, die viele Kalorien haben, «runtergeschlungen» und im Anschluss erbrochen werden. Dies erleben Patientinnen oft als sehr beschämend: Sie geraten in einen neuen Teufelskreis aus Essen und Erbrechen.
Wege aus dem Teufelskreis
Das Essverhalten entwickelt oft eine Eigendynamik, sodass es nicht ausreicht, in der Therapie das dahinter liegende Problem zu bearbeiten. Es ist notwendig, auf zwei Ebenen anzusetzen: Die Patientin muss lernen, wieder normal zu essen. Das geschieht im Rahmen eines verhaltenstherapeutischen Rahmenprogramms. Dabei hat sich gezeigt, dass die Unterstützung betroffener Frauen untereinander von grosser Bedeutung ist. Die Patientinnen treffen sich einmal die Woche mit einer Therapeutin und einer Diätassistentin zur Essgruppe. Hier sprechen sie über Schwierigkeiten und lernen in kleinen Schritten, wieder aus dem Kreislauf des Hungerns, Erbrechens, Überessens und Abtrainierens auszusteigen. Sie lernen, sich auf geregelte Mahlzeiten einzulassen, die das gesamte Spektrum des Nahrungsangebots in einer ausgewogenen Art und Weise mit einschliessen. Während den Mahlzeiten bekommen die Patientinnen Unterstützung durch das Pflegepersonal. Sie ermutigen zum Essen, konfrontieren aber auch damit, wenn sie wieder ins Suchtverhalten hineinrutschen.
Von grosser Bedeutung ist die Not, die hinter einer Essstörung verborgen ist, die letztlich dazu geführt hat. Diese Not gilt es zu bearbeiten. In der Klinik geschieht das in der Einzel- und Gruppentherapie sowie in den Gesprächen mit den Bezugspersonen aus der Pflege.
Der Weg aus einer Essstörung ist oft ein langwieriger Prozess, der viele Kämpfe mit sich bringt, aber das Ziel hat, dass diese Qual ein Ende hat. Dabei sind wir nicht allein. Gott hat auch da versprochen, mit uns zu gehen, worauf wir uns verlassen können.
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Autorin: Susanne Boos
Quelle: Magazin Lebensnah der Klinik SGM Langenthal/Livenet, Webseite: www.klinik-sgm.ch
Datum: 16.03.2006