Vielleicht zeigt sich der moralische Standard der Bibel nirgends deutlicher als in der Tatsache, dass sie so offen die Sünden und Schwächen ihrer edelsten und meistgeliebten Hauptpersonen aufzählt. Manche Leute haben gerade das als ein Argument gegen die Bibel gebraucht und behaupten (ohne viel Selbsterkenntnis), dass die Menschen der Bibel minderwertige, unedle Leute waren, denen wir besser keine Beachtung schenken sollten. Nun, in der Tat, Noah war betrunken; David beging Ehebruch und Mord, und Petrus fluchte und leistete einen Meineid. Das war falsch - aber waren sie darin so anders als wir? Die Bibel zeigt den Menschen einfach wie er ist! Auch der anziehendste und edelste Mensch ist nicht besser als irgend jemand anderes. Die Bibel ist nicht wie einige Sonntagsschulheftchen: mit Geschichten ganz braver Kinder, die gewöhnlich jung sterben. Die Bibel ist lebensnah - in einer einzigartigen Weise. Stellen wir uns doch einmal vor, dass die Bibel von einem religiösen Klub zusammengestellt und herausgegeben wäre - würden wir dann jemals etwas gehört haben über die listigen Lügen Abrahams, die feigen Verleugnungen des Petrus, den törichten Götzendienst Salonios, die Schande Lots, den Betrug Jakobs, den Streit zwischen Paulus und Barnabas oder die Eigenwilligkeit des Mose? Ganz sicher nicht. Eine Kommission von ehrerbietungswürdigen Geistlichen hätte uns eine Bibel vorgesetzt voller fleckenloser Menschen, Vorbilder tadelloser Frömmigkeit und heiligen Wandels und nicht eine Bibel, die arme elende Sünder beschreibt, die sie in Wirklichkeit waren. Schlimmer noch: manche Bibelschreiber schämen sich nicht einmal, ihre eigenen Sünden zu beschreiben, z.B. Matthäus, Johannes und Paulus. Welche anderen Bücher gibt es noch, die solche bemerkenswerten Charakterzüge aufweisen? Aber liegt hier nicht gerade die Ursache für die Emotionen um die Bibel? Der absolut einzigartige moralische Charakter dieses Buches zwingt den Menschen unwiderruflich zu einer Wahl, einer Entscheidung. Es scheint, dass niemand unberührt und neutral gegenüber der Bibel bleiben kann. Ist das vielleicht auch der Grund, weshalb die Bibel das meistverkaufte, meistverbreitete, meistübersetzte und meistgelesene, aber auch das meistgehasste Buch der Welt ist? Ist das der Grund, dass nie ein Buch so angegriffen, kritisiert, bestritten und vernichtet wurde wie die Bibel? Hassen sie die Bibel vielleicht aus demselben Grund wie ein Verbrecher das Gesetz, nach dessen Paragraphen er verurteilt wird? Aber auch das Umgekehrte ist wahr: Die Bibel ist, wie schon gesagt, auch das meistgeliebte Buch der Welt. Christus sagte einmal von den falschen Propheten: "An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen ... Jeder gute Baum bringt gute Früchte, aber der schlechte Baum bringt schlechte Früchte." Genau dasselbe kann man von der Bibel sagen. Wenn ihre Moral nicht nur ausserordentlich interessant, sondern auch gut und nützlich ist, kurz gesagt, wenn die Bibel ein gutes Buch ist, dann muss sich das an ihren Früchten zeigen. Markus Aurelius, Konfuzius und andere Moralisten schrieben hochstehende Standardwerke über die Ethik. Aber wer könnte ein Beispiel dafür anführen, dass ein Mensch dazu gebracht wurde, ein wirklich gutes und heiliges Leben zu führen, weil er diese Bücher studiert hat? Diese Bücher präsentieren wohl ein bestimmtes Ideal, aber die Praxis zeigt die Unmöglichkeit, den gefallenen Menschen auf das Niveau dieses Ideals zu stellen, weil die Kraft fehlt, die anscheinend nur die Bibel besitzt. Die Bibel tut das, indem sie uns in Kontakt bringt mit Jesus Christus, der den gefallenen Menschen nicht "repariert", sondern der für ihn gestorben ist. Der gefallene Mensch ist in und mit Christus gestorben - dessen darf sich nach Zeugnis der Schrift jeder sicher sein, der Christus in wahrhaftigem Glauben angenommen hat - und er ist in dem auferstandenen Christus ein vollkommen neuer Mensch geworden, eine neue Kreatur. Die biblische Antwort auf das moralische Problem des modernen Menschen ist eine persönliche, geistliche Wiedergeburt, wirkliche innerliche Lebensumwandlung - nicht Bekehrung zu einem System, sondern zu einer Person - und ein aufrichtiges, gläubiges Vertrauen zu dem auferstandenen Herrn Jesus Christus.
Datum: 14.11.2005
Autor: Willem J. Glashouwer
Quelle: Die Geschichte der Bibel