«Letzte Chance?»

Katholische Theologen fordern Reformen

Über 200 katholische Theologieprofessoren aus Deutschland, Österreich und der Schweiz fordern in einer Erklärung tiefgreifende Reformen in ihrer Kirche. Sie plädieren für eine stärkere Beteiligung der Gläubigen an der Bestellung von Amtsträgern, die Priesterweihe auch von Verheirateten, eine verbesserte kirchliche Rechtskultur und mehr Respekt vor individuellen Lebensentscheidungen.
Die katholische Kirche müsse «neue Lebenskraft und Glaubwürdigkeit zurückgewinnen». (Foto: iStockphoto)

«Im vergangenen Jahr sind so viele Christen wie nie zuvor aus der römisch-katholischen Kirche ausgezogen», heisst es im Memorandum der Theologieprofessoren. Die Kirche müsse diese Zeichen verstehen «und selbst aus verknöcherten Strukturen ausziehen, um neue Lebenskraft und Glaubwürdigkeit zurück zu gewinnen». Die «tiefe Krise unserer Kirche» fordere, auch jene Probleme anzusprechen, die nicht unmittelbar etwas mit dem Missbrauchsskandal zu tun hätten.

Die «Freiheitsbotschaft des Evangeliums» bilde den Massstab für eine glaubwürdige Kirche, heisst es in der Erklärung. «Wird die vielleicht letzte Chance zu einem Aufbruch aus Lähmung und Resignation durch Aussitzen oder Kleinreden der Krise verspielt?» Im einzelnen fordern die ProfessorInnen einen offenen Dialog über Strukturen der Beteiligung, Gemeindeleben in Sparzeiten, Rechtskultur, Gewissensfreiheit, Versöhnung und vielfältige Gottesdienste.

Signale von Bischöfen

Die Erklärung «Kirche 2011: Ein notwendiger Aufbruch», von 150 Persönlichkeiten unterzeichnet und am 4. Februar veröffentlicht, hat seither weitere Unterstützer gefunden. Die Theologen wenden sich «an alle, die es noch nicht aufgegeben haben, auf einen Neuanfang in der Kirche zu hoffen und sich dafür einzusetzen». Sie beziehen sich dabei auch auf «Signale zu Aufbruch und Dialog, die einige Bischöfe während der letzten Monate in Reden, Predigten und Interviews gesetzt haben». Laut Judith Könemann, die den Text mitredigierte, hat bereits jeder dritte katholische Theologieprofessor im deutschsprachigen Raum die Forderungen unterzeichnet. Aus der Schweiz sind es zehn Persönlichkeiten.

Für «Dialog ohne Denkverbote»

Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) äusserte sich positiv zu der Erklärung. Die Kirchenvolksbewegung «Wir sind Kirche» erklärte, der Aufruf der Professoren zu einem offenen Dialog über Macht- und Kommunikationsstrukturen der Kirche spreche der «grossen Mehrheit der Katholikinnen und Katholiken aus dem Herzen». Der Kirche fehle es auf allen Ebenen an Dialog. «Solange nicht alle Bischöfe zu einem Dialog ohne Denkverbote über die Zukunft der Kirche bereit sind, wird die Glaubwürdigkeit der Kirche weiter sinken.» Der für September geplante Besuch von Papst Benedikt XVI. in Deutschland dürfe kein Grund sein, «den schon lange überfälligen Dialog über die immer akuter werdenden pastoralen Probleme erneut auf die lange Bank zu schieben».

Abwarten

Die Deutsche Bischofskonferenz hat zurückhaltend auf das Memorandum von 150 katholischen Theologieprofessoren zu Reformen in der Kirche reagiert. Die Schweizer Bischöfe wollten vorerst noch nicht Stellung nehmen. Der Sprecher der Bischofskonferenz sagte, bei der Erklärung handle es sich in erster Linie um eine Reaktion auf den in Deutschland von den Bischöfen initiierten Dialogprozess.

Mit Pflichtzölibat fehlen Priester

Nach Ansicht des pensionierten Regensburger Dogmatikers Wolfgang Beinert führt an der Überprüfung der Zölibatspflicht für katholische Priester kein Weg vorbei. Die Kirche müsse handeln, weil sie sonst angesichts der «erschreckenden Zahlen» beim Priesternachwuchs ihre Aufgabe in Mitteleuropa und vielen anderen Teilen der Welt nicht mehr erfüllen könne, sagte der Theologe im Bayerischen Rundfunk.
Die Erklärung der 150 Professoren weckt Erinnerungen: 1989 protestierten in der «Kölner Erklärung» etwa 220 Wissenschaftler «Wider die Entmündigung - für eine offene Katholizität» gegen den Führungsstil von Papst Johannes Paul II. 2007 plädierten 88 Theologen für eine Reform der römischen Glaubenskongregation und übten Kritik an der vatikanischen Verurteilung von Thesen des südamerikanischen Befreiungstheologen Jon Sobrino. 2009 kritisierten mehrere katholische Fakultäten die Rücknahme der Exkommunikation von vier Traditionalisten-Bischöfen durch den Vatikan.

Datum: 09.02.2011
Quelle: Kipa

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