Ein Kämpfer ist nicht mehr

Samuel Külling 79-jährig gestorben

Samuel R. Külling
Samuel Külling und die sieben STH-Absolventen 2003

Am Montag ist Samuel R. Külling, Gründer und Rektor der Staatsunabhängigen Theologischen Hochschule (STH) Basel, kurz vor seinem 80. Geburtstag einem Herzinfarkt erlegen. Damit verliert Europa einen Theologen, der wie wenig andere eigenständig gedacht, Grosses angepackt, dafür ausdauernd gekämpft und dabei polarisiert hat. Als Nachfolger im Rektorat ist der paraguayische STH-Absolvent Dr. Jacob Thiessen bestimmt; Samuel Külling wollte ihn im neuen Jahr ins Amt einführen.

Samuel Robert Külling wurde am 9. Januar 1924 geboren und wuchs in Thun in einfachen Verhältnissen auf. Die Familie war in der Heilsarmee beheimatet; der Vater betätigte sich als Kolporteur christlicher Schriften; die Mutter gab den zwei Söhnen und der Tochter Wesentliches mit. 1945 begann Samuel Külling an der Universität Bern sein Theologie-Studium.

Frühe Weichenstellung

Von Beginn an regte sich in ihm Widerstand gegen die Behandlung biblischer Texte durch die Dozenten. Mit literarkritischen Theorien wurden biblische Texte ‚auseinandergenommen’ und nach theologischen, dem Zeitgeist unterliegenden Gesichtspunkten gedeutet. Dabei wurde die Bibel „als menschliches Produkt wie irgendein Buch der Weltliteratur“ behandelt, wie Külling später schrieb. Er empfand dies als unangemessen und willkürlich – und nahm sich vor, die Texte aus ihrer Zeit heraus und gemäss ihrem Charakter als Heilige Schrift auszulegen.

Schritt um Schritt

Nach dem Abschluss des Studiums in Bern und Edinburgh versah er während sechs Jahren das grosse Diaspora-Pfarramt der reformierten Kirche in Pruntrut im Jura. In dieser Zeit verwirklichte er seinen Traum, die herrschenden Verhältnisse nicht nur zu kritisieren, sondern mit einer freien Hochschule ein anderes Fundament für Theologen zu legen: Er lernte Holländisch und Akkadisch und doktorierte 1964 an der Freien Universität Amsterdam im Alten Testament; in diese Zeit fiel ein Studienjahr in Jerusalem. Die Dissertation zu Genesis 17 stellt den Bundesschluss Gottes mit Abraham in den Zusammenhang der orientalischen Kulturen des 2. vorchristlichen Jahrtausends.

Ein Berner in Basel

1964-70 unterrichtete Samuel Külling am Predigerseminar auf St. Chrischona bei Basel, bald auch an der Faculté Libre de Théologie Evangélique in Vaux-sur-Seine bei Paris; daneben engagierte er sich als Vorsitzender und Schriftleiter des Bibelbundes (bis 1979). Die Ehe mit Annerösli Merz blieb kinderlos.

Aus der Geschichte anderer ursprünglich auf Bibeltreue gegründeter Schulen zog Külling die Lehre, „dass, wenn wir eine solche Alternative zu den bestehenden staatlichen Fakultäten und kirchlichen Hochschulen gründen sollten, jeder Dozent in drei Punkten einig gehen müsste: Ganze Inspiration (der Bibel durch den Geist Gottes; Red.), ohne jede Einschränkung, ganze Wahrheit in jeder Hinsicht, ganze Einheit ohne wirkliche Widersprüche“.

Der Durchbruch

Ein Verein, zur Gründung einer Schule in Basel gebildet, konnte 1967 ein erstes Mal beim kantonalen Erziehungsdirektor vorsprechen (die Schulhoheit liegt in der Schweiz bei den Kantonen). Nach zweieinhalbjährigem Kampf – die Universität stellte sich gegen das Vorhaben – erlaubte die Basler Regierung im Februar 1970 dem Verein die „Errichtung und Führung einer vom Staat und von der Universität unabhängigen Lehrstätte zur Ausbildung von Pfarrern“.

Der Lehrbetrieb wurde im Oktober desselben Jahres aufgenommen. Das erste Jahrzehnt brachte viele Studenten, und um 1980 zählte die Freie Evangelische Theologische Akademie (FETA) am Mühlestiegrain im Basler Nobel-Vorort Riehen über 180 Studierende – mehr als die Universitätsfakultät am Rheinknie.

Külling, für den Fachbereich Altes Testament zuständig, baute einen Kreis von teils hochkarätigen Dozenten aus Landes- und Freikirchen auf. Diese Vielfalt zeichnete die Schule ebenso aus wie Gastvorlesungen prominenter Vertreter von Kirchen und christlichen Werken, welche Fenster auf Entwicklungen in der Zweidrittelwelt öffneten.

Konflikte, Trennungen, bleibende Erfolge

An Konflikten mangelte es der Schule nicht: Gegen aussen focht Külling um die Anerkennung der Ausbildung durch die Landeskirchen des deutschen Sprachraums (in der Schweiz und Österreich mit beachtlichem Erfolg); an der Schule selbst verfolgte der Rektor eine autoritäre Linie, was über die Jahre diverse Dozenten und Studenten zum Abgang bewog. Seit 1985 sanken die Studentenzahlen stark.

Um die staatliche Anerkennung auf Universitätsebene zu sichern – ein Kampf, den Külling bis zuletzt fortzuführen hatte –, wurde die FETA in Staatsunabhängige Theologische Hochschule (STH) umbenannt. Der grösste Erfolg der letzten 20 Jahre war die Einrichtung eines Seminars für Doktoralstudien, zu dem die Genfer Regierung die Erlaubnis gab. Die Schule hat bisher fünf Männer zu Doktoren der Theologie promoviert, darunter den neuen Rektor Jacob Thiessen.

900 Studierende – 450 Absolventen

Insgesamt haben in den 33 Jahren etwa 900 Studierende aus dem deutschen Sprachraum, aber auch aus Osteuropa, Ostasien und Lateinamerika während längerer Zeit an der Schule studiert. Sie verzeichnet über 450 Absolventen; von ihnen arbeiten in der Schweiz 40 von ihnen als PfarrerInnen in reformierten Landeskirchen. Andere wurden Missionare, Bibelübersetzer und theologische Lehrer.

1978-88 arbeitete Samuel Külling mit Theologen vor allem des angelsächsischen Raums im „Internationalen Rat für Biblische Irrtumslosigkeit“ (ICBI) zusammen. Aus dieser Arbeit erwuchsen die drei Chicago-Erklärungen zur Bibel. Külling erachtete es bei den Debatten um ihre volle Inspiration als wesentlich, das Geheimnisvolle des Wirkens des Heiligen Geistes nicht durch menschliche Vorstellungen einzuschränken.

Theologisch eigenständig

Bei der Entschlossenheit, mit der der Theologe die Schule in Riehen als Hort der Bibeltreue ausgestaltete, trat seine theologische Unvoreingenommenheit und Offenheit in manchen Fragen in den Hintergrund. Schon in den 70er Jahren hatte er davor gewarnt, die neutestamentlichen Aussagen über die Gaben des Heiligen Geistes zu leugnen oder für die Gegenwart hinunterzuspielen. Mit seiner differenzierten Haltung zur charismatischen Bewegung und den Pfingstkirchen half Külling alte Verhärtungen lösen.

Er gehört damit zu den Wegbereitern für eine verstärkte Zusammenarbeit unter den Schweizer Freikirchen, wie der Präsident ihres Dachverbands VFG, Max Schläpfer, gegenüber Livenet hervorhebt. Zur besseren Atmosphäre beigetragen hat in kaum abschätzbarem Mass auch die intensive Gemeinschaft der Studierenden, die aus ganz unterschiedlichen Kirchen an die FETA/STH kamen und einander befruchteten. Freikirchen und Missionswerke (weit über den deutschen Sprachraum hinaus) haben von der Schule mehrere hundert Theologen erhalten, die die Bibel in den Ursprachen auslegen können.

Den Fundamenten nachgedacht

Der Kämpfer für die Bibeltreue war auch ein sorgfältiger Ausleger. Immer wieder kam der Alttestamentler zu den ersten Kapiteln der Bibel zurück. Ihm ging es um die Fundamente der Menschheit; die Texte legte der Berner zuweilen in buchstäblich erschöpfender Ausführlichkeit aus.

Mit der Zeitschrift ‚fundamentum’ focht er daneben unverdrossen und nicht selten polemisch auf manchen Feldern des kirchlichen und Weltgeschehens. Er betonte, dass das jüdische Volk noch alttestamentliche Verheissungen zugut habe, und rief zur Unterstützung Israels auf.

Tolerant im Freundeskreis

Bewährten Weggefährten und Freunden zeigte Samuel Külling ein anderes Gesicht – er war tolerant gegenüber denen, die sein Vertrauen gewonnen hatten. Wer ihn mit seiner frommen, herzlichen Gattin im eigenen Haus erlebte, empfand auch Gelöstheit und Wärme. Samuel und Annerösli Külling sahen die Studenten, Dozenten und Mitarbeiter als ihre Familie an und beteten für sie.

Mit dem Hinschied der Gründerpersönlichkeit gestaltet sich der Einstieg des neuen STH-Rektors Jacob Thiessen anders als geplant. Die Nachfolge im Kuratorium, das Samuel Külling ebenfalls präsidierte, ist offen; ein Alttestamentler wird gesucht.

Datum: 17.12.2003
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch

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