Alain Auderset: «Das Ziel ist weder Business noch Ruhm»

Bei Absagen lautet die Parole für Alain Auderset (40): Jetzt erst recht durchhalten. Nach jahrelangem Zeichnen im stillen Kämmerchen gelang es dem christlichen Comic-Autor 2001, seinen ersten Band im Eigenverlag herauszugeben. Erfolg hat der Westschweizer aus dem Berner Jura bis anhin vor allem bei einem christlichen Publikum. Das soll und darf nicht so bleiben, wenn das «Unternehmen Auderset» langfristig überleben will. - Die Presseagentur Kipa hat den Zeichner im Vallon de St-Imier besucht.
Alain Auderset
Alain Auderset
Alain Auderset

«Die Leser werden sich wie in den Ferien fühlen. Beim Zeichnen dieser Geschichte spüre ich geradezu, wie ich braun werde. Es ist sehr angenehm, diese Landschaften zu zeichnen, die Palmen, den Sand.» Alain plant, sein nächstes Comic-Album mit dem Geruch eines Meeresstrands zu imprägnieren. «Du öffnest das Buch. Ah...», er schnuppert entzückt einen imaginären Meeresduft, «und du bist am Strand.»

Nicht-christliche Leser gesucht

Mit «Les vacances de Marcel», seinem sechsten Band, will der Comic-Autor und Vater von vier Kindern den Durchbruch bei einer nicht-christlichen Leserschaft schaffen. Dies sei absolut notwendig, um überleben zu können, sagt er. Ein christliches Publikum hat der Schweizer aus St-Imier schon längst begeistern können, was entsprechende Auszeichnungen belegen.

Dieses Mal soll eine richtige, das heisst fortlaufende Geschichte entstehen, mit vielen lustigen Gags. Nur auf einer Seite, einer sehr wichtigen allerdings, werde er von Gott sprechen, sagt Alain und senkt den Blick wieder auf die Skizze, auf der er mit seinem Bleistift immer wieder die Linien nachzieht.

Durch zwei Reihen von Spitzbogenfenstern fällt Licht in den hohen Raum. Es ist die ehemalige Kapelle der «Stadtmission» von St-Imier, von wo aus der Künstler seine eigene Mission betreibt. Das Atelier, in dem sich in Schachteln verpackte Comic-Bände türmen, wirkt wirr und unübersichtlich. Auf zahlreichen Regalen, Schränken und Tischchen stehen Pflanzen, liegt Werkzeug und Arbeitsmaterial herum, flattern Skizzen und Entwürfe.

Die Familie Auderset

Heute Nachmittag sind auch drei junge Frauen im Atelier. Sarah arbeitet regelmässig zu zwanzig Prozent für Alain, macht die Buchhaltung und erledigt die Bestellungen, die über das Internet hereinkommen. Céline hingegen, die gerade am Computer die Farben für «Les vacances de Marcel» setzt, ist nur während einiger Wochen hier, als Freiwillige. Und Nancy hilft seit kurzem etwas mit, da sie «im Moment gerade über etwas freie Zeit verfügt».

Die Stimmung ist locker. Martin, ein Freund von Alain, hat noch Zeit für einen Schwatz mit den Frauen. Der Sanitärinstallateur im blauen Übergewand hat soeben ein Lavabo-Rohr in der etwas heruntergekommenen Liegenschaft geflickt. Ein Freundschaftsdienst. Martin gehört offenbar zur gleichen christlichen Gemeinschaft, «wo man sich nicht nur am Sonntag sieht». Das sei für ihn Kirche, betont der gläubige Künstler. «Wie eine Familie. Man unterstützt sich gegenseitig.»

Geschäftsleute als Berater

Nicht da ist momentan Philippe, zuständig unter anderem für die Verträge mit den Verlegern im Ausland. Man habe ihm den Titel eines «directeur commercial» gegeben. «Das sieht ein bisschen nach einer grossen Firma aus. In Tat und Wahrheit geht es bei uns sehr familiär zu und her», schmunzelt Alain. Auch Laurent, der Grafiker, fehlt heute. Die beiden Männer sind mit dreissig beziehungsweise zehn Prozent zu sehr kleinen Pensen angestellt.

Das «Unternehmen Auderset» ist eine erweiterte Familie, immer wieder helfen Freiwillige aus. Einige Geschäftsleute fungieren als Berater. «Sie sind weise, haben Erfahrung. Ich bin ja nur Zeichner. Es gibt so viele Dinge zu tun, von denen ich nichts verstehe», erklärt Alain. Der Künstler, der in seinen Comics so viel von Gott und vom Glauben spricht, hat offensichtlich einen gewissen Fankreis.

Arbeit und Familie sind sowieso nicht getrennt. Gleich über dem Atelier ist die sechsköpfige Familie zu Hause. Plötzlich steht Benjamin, der Jüngste, im Türrahmen. Gelegenheit also für den Fototermin; der Bub möchte auch aufs Bild.

Jugendlich geblieben

«Ich müsste viel mehr Personal anstellen, das stimmt schon. Derzeit ist das aber nicht möglich», sagt der Zeichner. Seit 16 Jahren leben er und seine Familie vom Comic-Zeichnen. Am Anfang sei es eher ein «Überleben» gewesen. Wäre er ungläubig, hätte er sich vielleicht gesagt - seine Stimme senkt sich und wird ganz monoton: «Ich muss vernünftig sein, einen richtigen Beruf lernen. Ich muss Uhrmacher werden, wie jedermann hier.»

Dann lacht er, und man kann nicht anders als mitlachen. In weissen Lettern steht auf seinem schwarzen T-Shirt: «Brebis croyant pouvoir se passer du bon berger» - Schaf, das glaubt, ohne den guten Hirten auskommen zu können. Auf der Zeichnung darunter schmort ein aufgespiesstes Schaf im Feuer, ein Wolf freut sich aufs leckere Mahl. Der 40-Jährige ist fast so jugendlich geblieben wie das Publikum, das er neustens in One-man-shows begeistert.

«Verrückt muss man sein»

Dabei ist das Geschäft knallhart. Ganze zwei Monate könne er mit einer Neuheit in den Buchläden sein. Dann komme die unverkaufte Ware zurück. Während dieser kurzen Zeit verkaufe er sehr viel. Geld zum Leben benötige man aber das ganze Jahr. Zudem daure es ein bis zwei Jahre, bis ein Buch entstehe. Auch heute noch kann es vorkommen, dass kein Geld für den Nachdruck eines begehrten Bandes vorhanden ist.

Zeichnen können genüge bei weitem nicht. «Ha, Zeichnen. Das ist nur ein Aspekt. Wollen muss man! Verrückt muss man sein! Hartnäckig!» Alain hat sich aufgerichtet, die dunklen Augen funkeln. Selbst wenn zwanzig Verleger absagten, man in Paris, Frankfurt und anderswo abgewimmelt worden sei. Das gilt umso mehr, wenn einer christliche Botschaften in seine Geschichten verpacken will.

Unverhoffter Erfolg

«Wissen Sie, Gott interessiert die Menschen nicht mehr.» Das habe er von christlichen Verlegern und nicht-christlichen zu hören bekommen. «Aber ich habe ihnen gesagt: Das stimmt einfach nicht!» Alain ballt die Faust, seine Stimme ist lauter geworden. «Die Menschen möchten doch wissen, warum sie leben. Sie möchten wissen, ob es eine höhere Macht gibt oder ob alles einfach Schicksal ist.» Keiner habe ihm geglaubt.

Der Erfolg kam dann doch. Unverhofft. Der Künstler staunt noch heute darüber. Am 11. September 2001 - am Tag der Terroranschläge auf New York - wurden fünf Pallett von «Idées reçues» (deutsche Version «Ach du lieber Himmel») nach St-Imier angeliefert. Der erste Comic-Band, endlich, nachdem Alain während Jahren gezeichnet hatte. Alle hätten immer gesagt, er würde es nie schaffen.

Unglaubliche Einschaltquoten

Am gleichen Tag kam auch das Westschweizer Fernsehen und filmte. Die Sequenz über den Comic-Autor wurde just vor den Nachrichten im Téléjournal ausgestrahlt. «Alle dachten, jetzt ist Krieg, und schalteten noch vor Beginn der Nachrichtensendung den Fernsehapparat ein. Ich hatte eine unglaubliche Einschaltquote!» Kurz darauf fand ein regionales Comic-Festival statt. «Die Leute standen Schlange, um ein Buch zu ergattern. Unglaublich. Wegen eines Buches, das von Gott spricht, wollten die Leute mich sehen!»

2001 war der Anfang vom Anfang des Erfolgs. Im nächsten Jahr avancierte «Idées reçues» schweizweit zum Bestseller der im Eigenverlag herausgegeben Bücher. Bis anhin sind insgesamt fünf Comic-Bände erschienen, drei davon wurden ins Deutsche übersetzt.

Eine Mission

Obschon es unterdessen Übersetzungen in weitere Sprachen gibt, unter anderem ins Chinesische, steht das «Unternehmen Auderset» wirtschaftlich noch auf wackligen Füssen. Man sei jetzt fest entschlossen, in die USA zu expandieren, sonst komme man nie auf einen grünen Zweig. Gleichzeitig versichert der Zeichner: «Das Ziel ist weder Business noch Ruhm.»

Er habe eine Unmenge von Briefen und Telefonanrufen erhalten von Menschen, die seine Botschaft berührt habe, die ihr Leben zum Teil vollständig umgekrempelt hätten, so dass er einfach nicht aufhören könne. So viele Menschen wüssten einfach nicht, wozu sie lebten.

«Man muss den Menschen etwas mitgeben. Etwas, das ihnen hilft, das Leben besser zu verstehen», sagt Alain. «Ich will aber nicht moralisieren. Ich möchte, dass ein Witz drin ist. Am Schluss sollen die Leute lachen.»

Datum: 17.08.2009
Autor: Barbara Ludwig
Quelle: KIPA

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