Was fasziniert an der keltisch-christlichen Spiritualität?
Transformation eines Landes
Irland, am Rande Europas gelegen und nie vom römischen Reich vereinnahmt, wurde hauptsächlich durch Patrick (geb. 387) evangelisiert. Patrick, der zum Sklavendienst entführt worden war und als Hirtenjunge eine tiefe Gottesbeziehung entwickelte, gelang es, was heute als «inkarnatorische» und transformierende Mission bezeichnet und gefordert wird. 30 Jahren evangelisierte er auf der wilden, von Kämpfen, Geisterfurcht und Sklaverei geprägten Insel. Bei seinem Tod hinterliess er ein deutlich verändertes Irland. Tausende von Menschen waren zum Glauben gekommen, es gab viel weniger Kämpfe, die Sklaverei war abgeschafft, und von Dutzenden von Klöstern ging eine starke verändernde Kraft in die Gesellschaft aus.
Ganzheitliches Weltbild
Seit dem 6. Jahrhundert, besonders aber ganz neu für unsere postmoderne Kultur, die nach ihren Wurzeln sucht, besitzt das keltisch-irische Christentum eine einzigartige Ausstrahlung. Irland wurde nicht ein römisch geprägtes Christentum übergestülpt, sondern der christliche Glaube wurde tief in ihrer eigenen Kultur verankert. Keltische Traditionen wurden, wo immer möglich, nicht als heidnisch abgetan, sondern «getauft» und mit dem Inhalt des Evangeliums erfüllt.
Als ländliche Kultur waren die Iren stark verbunden mit der Natur, die sie vom Evangelium her neu als Schöpfung erlebten, in die sie sich eingebettet sahen. Auch die unsichtbare Welt, die sie «Anderswelt» nannten, war nicht ein entferntes «Jenseits», sondern umgab sie. An besonderen «dünnen Orten» war diese unsichtbare Welt z.T. zum Greifen nahe. Eine dualistische Abwertung des Sichtbaren war den irischen Christen total fremd. Eine Liebe zu Gott, Menschen, Tieren und Pflanzen zeichnet die irischen Christen aus.
Mit der Dreieinigkeit das Herdfeuer anzünden
Dem entsprechend war der keltisch-christliche Glaube sehr praktisch und lebensnah. «Ich zünde mein Herdfeuer an im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes» – dieses bekannte Morgengebet drückt aus, wie der Glaube die alltäglichsten Aufgaben durchdringt. Es zeigt auch, wie dieser Glaube stark von der Dreieinigkeit Gottes geprägt war. Der Schöpfer, der Sohn und der Geist, ewig drei und ewig eins, wurden gleichermassen geehrt und angesprochen.
Ausdruck dieses ganzheitlichen Alltagsverständnisses waren die «Klöster», die eigentlichen Zentren der christlichen Kultur. Mit ihnen lebten nicht nur (ledige und verheiratete) Mönche und Nonnen, sondern auch Priester, Lehrer, Handwerker, Gelehrte, Künstler, Bauern, Familien und Kinder – unter der Leitung eines (Laien-) Abtes oder einer Äbtissin. Mit der Zeit entstanden ganze Siedlungen um die Klöster herum. Die Klöster selbst waren also nicht weltabgeschiedene Orte, sondern regelrechte Lebens-, Arbeits- und Ausbildungszentren, die Menschen aus der Umgebung anzogen. Dort fanden die Menschen Heilung, Hoffnung, Gastfreundschaft und ganz praktische Hilfe – einen Glauben, der sie nicht nur in den Himmel brachte, sondern auch half, wenn das Vieh krank oder die Ernte bedroht war.
Wild und missionarisch
Ein besonderes Kennzeichen des keltisch-irischen Christentums war die Mission, die zum Kern ihres Glaubens gehörte. Ihr Christsein verstanden sie als Pilgerschaft und Abenteuer; sie liessen sich durch den Geist Gottes in wilde und unbekannte Gegenden führen, wo sie die Bevölkerung missionierten.
Durch Wandermönche (die sogenannten iro-schottischen Mönche wie z.B. Columban oder Gallus) wurde ab Ende des 6.Jh. dieser Glaube in ganz Europa verbreitet – ein Europa, das zwar schon durch die Römer «christianisiert» worden, dessen Bevölkerung aber unter der Oberfläche weitgehend heidnisch geblieben war. Diese Wanderschaft des Glaubens bringt den irisch-keltischen Glauben ganz in die Nähe Jesu, der ja auch ständig unterwegs war. Die Folge: Europa wurde von dern Rändern her erneuert.
Der deutsche Theologe Dr. Peter Aschoff fasst die Wirkung der keltisch-christlichen Spiritualität so zusammen: «In ihr verbinden sich leidenschaftliche Mission und Toleranz, soziale Gerechtigkeit und Gebet, bewusste Einsamkeit und Gastfreundschaft, intensives Gemeinschaftsleben und Liebe zur Schöpfung. Nicht nur das persönliche geistliche Leben, sondern auch das der Gemeinde erhält so frische Impulse für einen ungezähmten Glauben, der sich zu neuen Ufern aufmacht.»
Datum: 24.04.2014
Autor: Reinhold Scharnowski
Quelle: Livenet