Knabenbeschneidung

Kinderärzte in der Spannung

Das Basler Kinderspital führt weiterhin Beschneidungen von Knaben durch, im Gegensatz zum Zürcher Kinderspital, das sie vorderhand eingestellt hat. Zur Debatte stehen die Religionsfreiheit und das Recht der Eltern auf Erziehung.
Beschneidung

Die Eidgenössischen Räte haben 2011 die Mädchenbeschneidung als Genitalverstümmelung klassifiziert und sie unter Strafe gestellt, dabei aber die Knabenbeschneidung vom Verbot ausgenommen. Damit bestehe in der Schweiz bereits Rechtssicherheit, betonte Martine Brunschwig Graf, Präsidentin der eidgenössischen Kommission gegen Rassismus, in der «NZZ am Sonntag».

Auftrag an die deutsche Regierung

Das Landgericht Köln hatte in einem Ende Juni veröffentlichten Urteil die rituelle Beschneidung von Knaben im Kindesalter als Körperverletzung qualifiziert und verboten. Das Urteil provozierte empörte Kritik in jüdischen Kreisen. Die europäische Rabbinerkonferenz wird ein allfälliges Beschneidungsverbot gerichtlich anfechten. Seit Abraham werden jüdische Knaben am achten Tag beschnitten; dieses Gebot eint die Juden über alle Gräben hinweg.

Der deutsche Bundestag votierte am 19. Juli mit grosser Mehrheit für eine rechtliche Regelung. Die Bundesregierung soll ein Gesetz vorlegen und dabei das Kindeswohl, die Unversehrtheit des Körpers, die Religionsfreiheit sowie das Recht der Eltern auf Erziehung berücksichtigen. Bis zu seinem Inkrafttreten soll die Beschneidung in Deutschland straffrei durchgeführt werden können, wie seit Jahrhunderten.

Basler Kinderärzte fordern sachliche Debatte

Die Verantwortlichen des Basler Kinderspitals halten fest, dass das Urteil des Landgerichts Köln für die Schweizer Rechtsprechung keine Gültigkeit hat. Doch spreche nichts dagegen, «dass ein viele Jahrhunderte altes Ritual verschiedener Religionen (Judentum, Islam und andere) in der Schweiz nicht auch zu hinterfragen ist». Allerdings sollten die damit zusammenhängenden Entscheide auf rechtstaatlichen und ethischen Grundlagen basieren. Dies erfordere eine eingehende Diskussion mit allen Beteiligten.

Die Basler schreiben, für die betroffenen Familien sei ein plötzlicher Stopp ohne gesetzliche Änderung nicht nachvollziehbar. Beschneidungen würden seit Jahrzehnten in allen Schweizer Kinderspitälern auf Wunsch und mit Kostenübernahme durch die Familien angeboten. Die Diskussion über Beschneidungen solle «ohne Emotionen und mit grossem Respekt vor allen Religionen» erfolgen.

Fehlender Respekt

An diesem Respekt fehlt es in säkularen und freidenkerischen Kreisen. Der Verein Kinderlobby Schweiz möchte im Bundeshaus einen Vorstoss für ein landesweites Verbot lancieren und sucht Parlamentarier, die ihn unterstützen. Kinderrechte seien höher zu gewichten als die Religionsfreiheit, wird Kinderlobby-Präsident Daniel Goldberg in der Sonntagszeitung zitiert. Auf der Homepage der Freidenker wettert eine Frau gegen Mose und Abraham als «alttestamentrische Klicke» (Clique), die man als «gerissene Scharlatane oder Geisteskranke entlarven» müsste. Im zweiten Kommentar heisst es: «Schneidet alte Zöpfe ab und nicht junge Häute…»

Wozu ist das Recht da?

Die Sonntagszeitung lässt auch Otfried Höffe, Leiter der nationalen Ethikkommission, zu Wort kommen. Wegen der hohen kulturellen Bedeutung namentlich für Juden kann die Rechtsordnung gemäss Höffe «höchstens zwei Bedingungen an die Beschneidung knüpfen, nämlich, dass sie schmerzfrei und fachgerecht erfolge».

Anders sehen dies mehrere hundert Mediziner und Juristen in Deutschland, die nach der Entschliessung des Deutschen Bundestags an den Gesetzgeber appelliert haben, den Kinderschutz stärker zu gewichten. Die mittlerweile gut 600 Unterzeichnenden des vom Düsseldorfer Mediziner Prof. Matthias Franz verfassten Online-Appells schreiben: «In diesem Zusammenhang kann die Religionsfreiheit kein Freibrief zur Anwendung von (sexueller) Gewalt gegenüber nicht einwilligungsfähigen Jungen sein.» Für die Genitalien von Mädchen sei dies international unbestritten.

Beschneidung – wenn der Knabe dazu Ja sagt

Für die Unterzeichnenden gibt es keine medizinischen Gründe «für die Entfernung einer gesunden Vorhaut bei einem gesunden, nicht einwilligungsfähigen kleinen Jungen». Wolle man Infektionen vorbeugen, sei für die Beschneidung noch Zeit, wenn der Knabe dazu seine Einwilligung geben könne. Den kleinen Jungen werde durch die genitale Beschneidung «erhebliches Leid zugefügt»; dies sei mittlerweile in Studien belegt.

«Mit religiösen Traditionen oder dem Recht auf Religionsausübung» lasse sich der Eingriff «nicht widerspruchsfrei begründen, zumal die Entwicklung der Kinderrechte in den letzten 300 Jahren in diesem Bereich nicht nur exklusiv den Mädchen zu Gute kommen kann». Die selbsternannten Kinderschützer nehmen den Vorwurf, mit einem Verbot der rituellen Jungenbeschneidung würde jüdisches Leben in Deutschland unmöglich, nicht hin. «Als Kinder der Aufklärung müssen wir endlich die Augen aufmachen: Man tut Kindern nicht weh!»

Datum: 24.07.2012
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet

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