Kleinkinder zuhause betreuen

Ein Weckruf an die Politik

Familienexperten in Deutschland sehen sich durch eine neue US-Studie in ihren Bedenken gegen eine ausserfamiliäre Betreuung von Kleinkindern bis zu drei Jahren bestätigt. Sie rufen die Politik zur Verantwortung.
Mutter und Kind

(SSF/idea/im.) Forscher haben herausgefunden, dass die Hirnentwicklung des Kindes durch intensive mütterliche Zuwendung in den ersten Lebensjahren gestärkt wird. Dadurch wächst der Hippocampus schneller – eine Hirnregion, die einen wesentlichen Einfluss auf Gedächtnis, Emotionen und Stressbewältigung hat.

Keinen signifikanten Einfluss haben dagegen Faktoren wie das Alter oder die soziale Stellung der Eltern. Über ihre Erkenntnisse berichteten Wissenschaftler der Washington Universität in St. Louis (Bundesstaat Missouri) um die Psychiatrie-Professorin Joan Luby in der Fachzeitschrift der Nationalen Akademie der Wissenschaften. Hartmut Steeb (Stuttgart), Generalsekretär der Deutschen Evangelischen Allianz – sie befasst sich intensiv mit Fragen der Familie – fordert angesichts der Studie ein Umdenken in der Politik. Diese wirbt seit Jahren für eine Betreuung von unter Dreijährigen in Krippen, damit mehr Mütter einer Erwerbstätigkeit nachgehen können. Steeb gegenüber der Evangelischen Nachrichtenagentur idea: «Jetzt ist die Politik gefragt, ob die Ideologie wichtiger ist oder die Vernunft und ob das Wohl des Kindes oder das Wohl der Wirtschaft Vorrang hat.»

Bildung ohne Bindung ist ein Rückschritt

Im Zuge einer nachhaltigen Gesundheit für die künftige Gesellschaft fordert Steeb, die «zukunftsträchtige Mutter-Tätigkeit zu Hause» mindestens ebenso zu fördern wie die ausserfamiliärer Berufsarbeit. Ausserdem müsse Schluss sein mit den Diskriminierungen von Eltern, die ihre Kinder selbst betreuen wollen. Dazu gehöre der Begriff «Herdprämie» für das geplante Betreuungsgeld und die Unterstellung von «Bildungsferne». Ausserdem müsse man Bildungspolitikern deutlich machen, «dass die elterliche Bindung vor der Bildung steht und Bildung ohne Bindung kein Fortschritt, sondern Rückschritt ist». Steeb wünscht sich, «dass die Studie zu einem familienpolitischen Weckruf in unserem Land wird».

Psychologen und Pädagogen wissen es schon lange

Für den Leiter des Heidelberger Büros für Familienfragen und Soziale Sicherheit, Kostas Petropulos, bestätigt die US-Studie nur, was Psychologen und Pädagogen schon lange wüssten: «Kinder entwickeln sich am besten mit verlässlicher Zuwendung und kompetenter Unterstützung beim Weg ins Leben durch einen sie liebenden Menschen.» Das könnten nicht nur Mütter sein, sondern auch Väter, Grossväter oder -mütter.

Die zentrale Frage an unsere westlichen Gesellschaften laute daher: «Wollen wir Eltern nicht die (bezahlte) Zeit geben, ihre Kinder in den entscheidenden Entwicklungsjahren als wichtigste Lebenshelfer zu begleiten? Oder sollen wir tatsächlich – so wie es die EU-Kommission von der Bundesregierung gerade gefordert hat – die totale Arbeitsmarktmobilisierung anstreben, um unser (schein)heiliges Wirtschaftswachstum in die Zukunft zu retten?» Für Vernunft und Herz gebe es nur eine klare Antwort.

Vater und Mutter unersetzbar

Für die Vorsitzende des Familiennetzwerks, die Kinderärztin Maria Steuer (Hollern bei Stade), zeigt das Forschungsergebnis: «Mutter und Vater sind eben einzigartig und Kinder sehnen sich nach liebevoller Zuwendung und Anerkennung durch diese unersetzbaren Menschen.» Laut Steuer verdient ein Aspekt der Studie besondere Beachtung, nämlich dass die Gehirnentwicklung unabhängig sei vom sozialen Status der Eltern. Das bedeute für alle Befürworter der frühkindlichen Bildung: «Die Krippe kann soziale Benachteiligung nicht ändern. Emotionale Verwahrlosung kommt in allen Schichten vor, und der gilt es entgegenzuwirken.» Das erfordere ein radikales Umdenken.

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Datum: 06.02.2012
Quelle: Livenet / SSF / idea.de

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